Das Herz
Antimon.
»Sie ist ihre Königin«, sagte Chert. »Sie ist überhaupt wunderbar.«
Er spürte Opalias Blick, auch ohne ihn zu sehen. »Ach ja? Wunderbar?«
»Sie ist ihre Königin, und zwar eine gute, das ist alles, was ich sage!«
»Schlimm genug, dass du ein eigensinniger alter Hund bist, der immer herumstreunen muss«, zischte sie leise, »aber wenn du dich in eine Frau verguckst, die nicht größer ist als eine Babyrassel ...!«
»Ach hör auf.« Er war gekränkt und hatte Angst, dass ihre Stimmen unter so hellhörigen kleinen Wesen weiter tragen könnten, als sie dachten. »Das ist doch Unsinn, Frau, und das weißt du auch.«
Opalia schnaubte, sagte aber nichts mehr.
»... Und so viel er auch schon für sein Volk und seine Königin gegeben hatte, erklärte er doch ohne Zögern, ja, er werde es tun.« Altania pries immer noch Giebelgaups Tugenden. »Mögen ihn die, welche hier und heute Kinder sind, zu ihrem Vorbild nehmen — ein bessres könntet ihr nicht finden.«
Bei der Erwähnung von Kindern wurde Cherts Herz noch schwerer. Er wusste, Opalia glaubte nicht wirklich, dass er irgendwelche Gefühle für die winzige Dachlingskönigin hegte. Sie war ärgerlich auf ihn, weil er Flint hatte gehen lassen, und noch ärgerlicher auf sich selbst. Diese Zeremonie erinnerte sie zweifellos daran, dass der Junge zuletzt gesehen worden war, als er Giebelgaup geholfen hatte, einem tödlichen Angriff zu entgehen und Antimon den Astion zu überbringen, und dass kurz darauf alles dort unten, einschließlich der Stelle, an der sich Flint befunden hatte, unter einer erbarmungslosen Sturzflut verschwunden war. Noch immer tauchten im Salzsee Leichen auf, die die neuen Zuflüsse aus den Tiefen emporgeschwemmt hatten, Funderlinge, Xixier und Qar. Chert wusste, Opalia hatte schreckliche Angst, dass Flint das gleiche Schicksal ereilt hatte, dass auch vor ihrem Haus schließlich Männer mit einer Bahre erscheinen würden, auf der ein zugedeckter, triefender Leichnam lag.
Er bekam nicht mehr mit, was die Dachlingskönigin sagte, weil sich seine Gedanken solcherart im Kreis drehten, bis die Zeremonie vorbei war.
Der winzige Mann mit der Trompete stand zu Cherts Füßen und schrie aus voller Lunge: »Ihre Majestät wünscht Euch zu sprechen, Chert Blauquarz.«
Antimon klopfte ihm auf den Rücken. »Geht nur. Ich warte auf der Treppe auf Euch. Hier drinnen habe ich zu viel Angst, auf jemanden zu treten.«
»Mach nicht zu lange mit deiner Tändelei, alter Mann«, ermahnte ihn seine Frau. »Wir haben zu Hause eine Menge zu tun.«
»Wovon sprichst du?«, sagte Chert. »Du musst mitkommen und die Königin kennenlernen. Das ist eine Ehre. Wie viele Königinnen hast du persönlich getroffen?«
»Wirklich? Aber ich bin dafür gar nicht angezogen ...«
»Bei den Göttern der rohen Erde, Frau, du hast den ganzen Morgen damit zugebracht, auch ganz bestimmt richtig angezogen zu sein. Jetzt komm. Giebelgaup war mein Freund — und außerdem hat er mitgeholfen, Flint zu retten.«
Im Gesicht seiner Frau stand plötzlich so tiefe Traurigkeit, dass er wünschte, er hätte das nicht gesagt, aber zurücknehmen konnte er es nicht mehr. Er nahm ihren Arm und führte sie nach vorn, wobei sie beide schlurfende kleine Schritte machten, damit ihre Gastgeber genügend Zeit hatten, sich in Sicherheit zu bringen.
Königin Altania war bereits auf ihre gesattelte Taube gehoben worden und strahlte den heiteren Gleichmut einer kleinen, aber kunstvoll gefertigten Steinskulptur aus. Als Chert und Opalia nahe genug herangeschlurft waren, ließen sie sich vorsichtig auf die Knie hinab, um die Königin besser sehen zu können.
»Ich weiß Euer Kommen zu schätzen, Chert von den Blauquarz«, sagte sie. »Und das muss Eure Gemahlin Opalia sein.« Sie nickte. »Wir haben von Flint und Chert so viel Gutes über Euch gehört, Frau Opalia. Ich danke auch Euch für Euer Kommen. Giebelgaup der Bogenschütz hat uns viel bedeutet.« Sie schüttelte den Kopf »Wir werden ihn nie vergessen noch je zu ersetzen vermögen.«
Zu Cherts Überraschung und Freude war Opalia von der Miniaturkönigin sichtlich bezaubert. »Ihr seid zu gütig, Majestät. Ich mochte Giebelgaup auch sehr gern. So ein feiner klei ... feiner Mann. Dieser Krieg hat uns so viele genommen — ach, was für schreckliche Zeiten?«
Während Chert seiner Frau und der Königin zuhörte, sah er plötzlich Antimon in der Tür zum Heiligtum der Dachlinge stehen und ihn durch Winken auf sich aufmerksam
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