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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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beiseite. Es war ein warmer Sommerabend, aber Briony trug, vielleicht aus Schicklichkeitsgründen, ein schweres Nachtgewand.
    »Ich muss unter vier Augen mit Ihrer königlichen Hoheit sprechen«, sagte er. »Könnt Ihr bitte Eure Damen wegschicken, Prinzessin? Entschuldigt die Störung, aber es geht um eine dringende Angelegenheit.«
    Sie sah ihn an, versuchte in seinem Gesicht zu lesen. »Gewiss, Hauptmann Vansen. Gebt ihnen einen Augenblick. Meine Damen, ich weiß, dass Herzogin Merolanna derzeit lange auf ist, da sie nicht gut schläft. In ihren Gemächern werdet Ihr noch ein Feuer und Gesellschaft finden.«
    Als sie alle, ob dieser merkwürdig brüsken Störung tuschelnd, den Raum verlassen hatten, setzte sich Briony in einen geräumigen Sessel und zog die Beine unter sich. »Ich bin ganz Ohr, Hauptmann Vansen.« Sie schüttelte den Kopf. »Lange werde ich Euch nicht mehr so nennen können, was? Bald ist die Krönung, und dann werden die Ehren verliehen ...«
    »Zum Henker damit«, sagte er. »Es geht mir nicht um Ehren oder Titel. Das wisst Ihr.«
    »Warum so zornig auf mich?«, fragte sie. »Ich habe gestern so oft zu Euch hinübergeschaut, aber da war immer nur Missmut in Eurem Gesicht. Ihr seid meinem Blick ausgewichen.« Ihre Maske bekam jetzt erstmals Risse, und ihre Stimme bebte. »Ich hatte Euch am Abend zuvor mein Herz und meine Lippen dargeboten. Warum vergeltet Ihr mir das mit Verachtung?«
    Er stand vor ihr und ballte immer wieder die Fäuste. »Verachtung? Ihr wolltet mich doch nicht ansehen? Ich habe Euren Blick aufzufangen versucht, als Ihr hereinkamt, aber Ihr habt durch mich hindurchgestarrt, als hättet Ihr mich noch nie gesehen? Als wärt Ihr so von Scham gelähmt, dass Ihr mir noch nicht einmal die ganz normale Freundlichkeit erweisen könntet, die Ihr für jeden Stallburschen übrighabt, ja selbst für den alten Puzzle?«
    Briony lachte, ein jäher Heiterkeitsausbruch, auf den er gar nicht gefasst war. »Puzzle? Götter, seid Ihr eifersüchtig auf den Hofnarren, weil ich ihn auf den Kopf geküsst und ihm ein paar Kupferstücke gegeben habe? Er ist doch mindestens hundert Jahre alt!«
    Vansen hasste es, ausgelacht zu werden; lieber wollte er wieder in den Tiefen der Mysterien sein und vom Autarchen persönlich erwürgt werden, als diese Frau, die er so sehr liebte, dass sein Herz vor Sehnsucht schmerzte, wenn er nicht bei ihr war, so über ihn lachen zu hören. »Ihr macht Euch über mich lustig, Prinzessin. Ihr spottet über Euren Diener, weil er nicht mehr ist als das — ein Diener. Verzeiht. Ich war ein Narr, mir einzubilden, ich könnte mehr sein.« Er drehte sich um und ging steif zur Tür; sein Kopf war wie windiges Nachtdunkel voller wirbelnder Blätter.
    »Wartet.«
    Er blieb stehen. Sie war schließlich seine Herrscherin.
    »Dreht Euch um und schaut mich an, Hauptmann. Es gehört sich nicht, seiner Königin den Rücken zuzukehren.«
    Vansen drehte sich um. »Bei allem Respekt, Hoheit, noch seid Ihr nicht Königin.«
    Ihre Augen waren rot, aber sie kämpfte gegen das Lachen an, was Vansen völlig verwirrte. »Barmherzige Zoria, Ihr habt recht, Hauptmann Vansen. Ihr
seid
ein Narr?«
    »Wenn meine Regentin mich nicht mehr benötigt«, sagte er laut, »könnte sie vielleicht die Güte haben, mich zu entlassen ...«
    »Götter im Himmel, Vansen, was ist mit Euch los?« Sie setzte ihre weißen Füße auf den Boden und stand auf, die Arme eng um den Körper geschlungen. »Euch entlassen? Seid Ihr wirklich böse auf mich, weil ich Euch vor all meinen Untertanen, dem Prinzen Eneas und dem neuen Autarchen nicht zärtlich angeschaut habe? Was wollt Ihr, Mann?«
    »Ein Zeichen.« Er gab sich Mühe, sich zu beruhigen. Er hatte plötzlich die Vision, dass Brionys Damen mit den Wachen draußen auf dem Gang standen und alle zusammen an der Tür lauschten. »Irgendein kleines Zeichen, dass der vorgestrige Abend ... etwas bedeutet hat.«
    Sie kam jetzt auf ihn zu und breitete die Arme aus. »Bedeutet? O lieber Himmel, wie könnt Ihr daran zweifeln. Bedeutet
das
etwas?« Und sie presste sich an ihn, und ihr Übergewand hatte sich geöffnet, und er spürte ihren warmen Körper durch das dünne Baumwollnachtkleid.
    Er zog sie an sich und hielt sie eine ganze Weile einfach nur fest, so fest, dass sie kaum noch atmen konnte. »O Götter, ich hungere nach Euch, Briony. Ich bin kein Poet und kein Höfling. Ich habe noch nie so geliebt und kenne die Regeln des Spiels nicht! Ich hatte Angst, weil ich in Euren

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