Das Herz
Zunft gesperrt und wurden von Streifen der Großwüchsigen-Garden kontrolliert, bis auch die letzten von Durstin Kreys Männern ergriffen wären. In fast jedem Haus gab es mindestens einen Kriegsheimkehrer, die meisten verwundet, und dann waren da all die überlebenden Mönche, die nicht nur die Mysterien verloren hatten, sondern auch ihr Tempelkloster — und verursacht hatte das natürlich in erster Linie Chert. Und wenn auch viele Bürger von Funderlingsstadt im Fluten der Tiefen eine geniale, heroische Tat sahen, die ihnen wohl allen das Leben gerettet hatte, fanden sich Chert, Antimon und die Ingenieure, die diese Tat vollbracht hatten, doch jetzt von den konservativeren, traditionalistischen Funderlingen geschmäht, nicht zuletzt von den Metamorphosebrüdern, die guten Teils sehr deutlich gemacht hatten, dass Chert Blauquarz für das, was er ihnen (wie sie es sahen) genommen hatte, niemals Vergebung erlangen würde.
»Hier«, sagte er, als sie auf dem obersten Treppenabsatz anlangten. Er drückte die Tür auf »Wir sind da.«
Opalia trat als Erste ein. »Oh«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Oh, schaut nur, wie
viele ...!«
Das werden wir jetzt noch öfter mitmachen,
dachte Chert. Eine ganze Reihe solch trauriger Anlässe — Beisetzungs- und Gedenkfeiern für verstorbene Freunde — erwartete sie in den nächsten Tagen. Tatsächlich hatte das Geschehen viel von einer Gedenkzeremonie nach Funderlingsart, allerdings von der letzten Reihe der Zunfthalle aus gesehen: Die winzigen Gestalten traten vor und übernahmen ihren Part, aber er und Opalia konnten sie kaum hören und nur erraten, was da gesagt und getan wurde. Es gab natürlich keinen Sarg und, soweit er sehen konnte, auch kein Bild von Giebelgaup dem Bogenschützen, aber die Stimmchen der Dachlinge waren ebenso glaubhaft traurig wie die Körperhaltung der Trauergäste. Cherts Freund war bei seinem Volk beliebt gewesen, das war offenkundig, und diese Erkenntnis erinnerte ihn daran, dass er Giebelgaups freundliches kleines Gesicht nie wiedersehen würde. Er wusste nicht einmal, ob der kleine Kundschafter Frau und Kinder gehabt hatte, konnte also eigentlich nicht behaupten, ihn gut gekannt zu haben, aber sie hatten zusammen Abenteuer bestanden, die sich kein anderer auch nur vorstellen konnte.
Chert musste sich plötzlich die Augen mit dem Ärmel tupfen, unauffällig, damit Antimon und Opalia es nicht mitbekamen. Deshalb sah er die Dachlingskönigin nicht in die Mitte des leeren Kamins hinaustreten, hörte aber die winzigen Muscheltrompeten, die sie ankündigten, und wischte sich schnell die Tränen vollends weg.
Da stand sie, kleiner als eine Puppe, in einem prächtigen Kleid aus steifem, glänzendem Stoff, das mit winzigen Perlen bestickt war. Neben sich hörte er Opalia tief einatmen.
»Oh«, flüsterte seine Frau, »ist sie nicht wunderhübsch?«
»Das ist die Königin«, flüsterte er zurück.
»Glaubst du, das sehe ich nicht, du alter Narr?«
»Ihre listenreiche und lupenreine Majestät, Königin Altana!«, verkündete ein Herold von der Größe einer Stopfnadel und blies dann wieder in seine Muscheltrompete.
»Altania?«, flüsterte Opalia. »Was ist denn das für ein Name?«
»Psst.«
Die Königin blickte empor in die — wie es ihr zumindest erscheinen musste — ferne Höhe des Raums, wo die Gesichter ihrer Riesenbesucher schwebten wie drei Monde. Sie nickte auf eine Art, die zu besagen schien, dass sie froh darüber war, sie zu sehen, richtete ihre Worte jedoch an die Trauerversammlung.
»Ich bin nicht hier, Wehklagen anzustimmen über den Tod von Giebelgaup dem Bogenschütz und Ersten meiner Dachrinnenkundschafter«, begann sie mit einer überraschend lauten hohen Stimme, »denn er weilt ja nunmehr bei der Hand des Himmels in den Höhen über den Höhen, und wir wissen, in jenen Dachgärten der Wonne gibt es nicht Leid noch Betrübnis.
Vielmehr will ich hier vor Euch bekunden, dass er uns fehlen wird, denn er hatte einen Platz in unserer Liebe — so wie er sein Volk liebte und sein Land, von der Spitze der Eisernen Nadel bis zu den Tiefen des schrecklichen Erdgrunds, vom Großen Täfelholz bis zu den Auen des Südlichen Daches, da unsere Himmelsrösser weiden. Giebelgaup gab das Höchste, das er besaß, auf dass all dies fortbestehe und unser Volk fortgedeihe in einer Welt, die uns immer wieder Schweres auferlegt und dennoch die einzige Welt ist, welche wir Lebenden haben ...«
»Sie spricht erstaunlich gut«, flüsterte
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