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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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machen. Vorsichtig schlurfte Chert wieder zurück.
    »Da ist etwas, das Ihr sehen solltet.« Antimons Gesicht verriet nichts.
    »Was?«
    »Bringt Eure Frau auch mit, Meister Chert.«
    Er ging wieder nach vorn, entschuldigte sich bei der Dachlingskönigin, die weder beleidigt noch über Gebühr erstaunt schien, und führte Opalia hinaus.
    »Was soll das?«, fragte seine Frau ungnädig. »Erst willst du, dass ich sie kennenlerne, und dann, kaum dass wir uns nett unterhalten, zerrst du mich davon wie ...« Sie blieb in der Tür stehen und starrte an Antimon vorbei auf etwas, das Chert noch nicht sehen konnte. »Oh«, sagte sie. »Oh!« Und dann rannte sie über den Treppenabsatz. »Preis sei den Alten der Erde!«, rief sie. »Oh, komm, schau!«
    Es war natürlich der Junge — das hatte Chert schon an der Stimme seiner Frau gehört. Als Opalia ihn drückte und Tränen an seinem Hals und seinen Schultern verrieb — er schien in den letzten Tagen noch größer geworden zu sein —, sah Flint Chert mit einer Miene an, die halb amüsiert, halb verwirrt wirkte.
    »Aber Mama Opalia, mir geht es gut«, sagte er, als sie immer noch weinte und sein Gesicht streichelte. »Ich hab doch gesagt, wir würden uns wiedersehen. Haben sie's dir nicht ausgerichtet?«
    Sie lachte unter Tränen. »Hört euch den Jungen an. Als ob ich mir keine Sorgen machen sollte, wenn er einfach verschwindet und die halbe Welt zusammenbricht — mit ihm mittendrin?«
    Chert beteiligte sich an der Umarmung, wenn auch ein bisschen unbeholfen. Der Junge war jetzt fast einen Kopf größer als er, sah aber immer noch aus, als zählte er höchstens neun Sommer. »Trotzdem, du hättest deine Mutter nicht so ängstigen sollen, Junge. Wir hatten keine Ahnung, wo du warst ...«
    »Komm mit nach Hause«, sagte Opalia. »Komm mit, ich mache dir dein Lieblingsessen — Maulwurfragout. Oh, Chert, lass uns alle nach Hause gehen.«
    Chert bemerkte, dass Bruder Antimon bedrückt, ja regelrecht unglücklich dreinsah. Während der Junge die Treppe hinabzusteigen versuchte, obwohl Opalia ihn immer wieder zu umarmen oder an den Händen zu fassen versuchte und sie damit beide fast ins Stolpern brachte, ließ Chert sich zurückfallen, bis er neben Antimon herging.
    »Was macht Ihr denn so ein Gesicht?«, fragte Chert den Mönch möglichst leichthin.
    »Ach, das ist nichts weiter«, sagte Antimon. »Es ist mir nur wieder aufgestoßen, dass ich Giebelgaup zurücklassen musste, um ausgerechnet Nickel in Sicherheit zu bringen — diesen ... diesen ...« Er sah sich um, als könnten sogar hier im obersten Teil des Sommerturms Zuträger von Bruder Nickel sein. »Diesen engstirnigen, aufgeblasenen Kerl. Welch ein Jammer, für ihn den kleinen Giebelgaup geopfert zu haben.«
    »Die Pläne der Alten der Erde sind nicht immer leicht zu lesen«, sagte Chert.
    »Aber dann habe ich daran gedacht, dass Flint aus irgendeinem Grund wusste, wo er hinmusste — ganz genau? Obwohl es in den Mysterien so viele Gänge gab, wusste er einfach, durch welchen Giebelgaup kommen und wo ihn die Eule packen würde ...« Antimon schüttelte den Kopf. »Darüber habe ich nachgedacht und über sein Verschwinden und wie ein Junge so etwas wissen kann ... und plötzlich war er da? Stand direkt vor mir auf der Treppe, als ob ich ... als ob ich ihn irgendwie heraufbeschworen hätte.«
    Auch Chert überlief ein leichter Schauer — nicht der erste, den er seinem Adoptivsohn verdankte. »Wir mussten uns auch dran gewöhnen. Der Junge ... der Junge ist ein bisschen anders als andere.«
    Antimons Lachen war fast schon ärgerlich. »Chert Blauquarz, Ihr seid ein gescheiter Mann, aber was Ihr da eben gesagt habt, ist wirklich nicht das Allergescheiteste. Der Junge ist
ganz und gar
anders als andere.«
    »Chert!«, rief Opalia hinauf. »Hast du gehört, was Flint gesagt hat? Du hast eine Audienz bei der Prinzessin — und
ich
soll auch mitkommen!«
    »Was? Flint, was sagst du da?«
    »Eine Audienz bei der Prinzessin und vielen anderen, in zwei Tagen«, sagte der Junge. »Es ist sehr wichtig, Papa Chert. Du musst unbedingt hin.«
    »Bei Prinzessin Briony? Und woher weißt du das?«, fragte er. »Hat es dir jemand aus dem Haushalt der Prinzessin gesagt?«
    »O nein«, sagte er, als er die Tür im Fuß des Turms öffnete. Spätnachmittagssonne flutete herein, sodass Chert einen Moment lang den Jungen nicht klar erkennen konnte und er ihm wie etwas anderes, Unbekanntes erschien. »Nein«, erklärte Flint. »Das hat mir

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