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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Erst jetzt bemerkte sie Kettelsmit, hielt inne und nahm eine etwas majestätischere Haltung an. »Es ... es ist so lange seit Eurem letzten Besuch.«
    »Ich bitte vielmals um Entschuldigung, meine Königin«, sagte Tolly in warmem, beruhigendem Ton zu der Frau, über die er eben noch so geschimpft hatte. »Ihr müsst verstehen, dass die Belagerung der Burg ...«
    »Oh, das, ja«, sagte sie, als spräche sie von einem widerlichen Geruch, der vom Misthaufen heranwehte. »Es ist schrecklich. Aber hier es gefällt mir nicht. Ich will zurück zu meinem Turm.«
    »Unmöglich, Hoheit. Dort kann ich Euch und den kleinen Prinzen nicht schützen. Nein, ich fürchte, Ihr müsst hier bleiben.« Er schüttelte so düster den Kopf, als wollte er ausdrücken, wie sehr es ihn schmerzte; im nächsten Moment hellte sich sein Gesicht auf »Wo wir gerade von ihm sprechen: Wo ist denn Euer hübscher Sohn Alessandros — unser zukünftiger König?«
    Doch Anissa war sichtlich enttäuscht und nicht willens, sich so leicht aufheitern lassen. »Dort«, sagte sie und zeigte auf ein paar Frauen, die sich am anderen Ende des Raumes um den Säugling drängten und so taten, als hörten sie nicht zu. »Die Zofen haben ihn. Sie machen so ein Getue um ihn, er wird am Ende ganz verzogen.«
    »Gewiss nicht, Hoheit.« Tolly ging zu den Frauen hinüber, die sich verneigten und vor Verlegenheit wanden. Eine hielt den dunkelhaarigen kleinen Prinzen, der an ihrem geflochtenen Haar zog und den Reichshüter mit großen Augen ansah.
    »Hübscher Bursche«, sagte Tolly mit überzeugender Bewunderung. »Er hat die Nase seines Vaters.«
    Aber Anissa war immer noch missmutig. »Ich habe Angst um ihn«, sagte sie. »Ich denke, es ist vielleicht Zeit, dass Ihr uns schickt in das Land meines Vaters. Hier es ist zu gefährlich mit diesem Krieg.«
    Der Reichshüter war sichtlich verblüfft. »Verzeihung? Dass ich Euch wohin schicke?«
    »Zurück nach Devonis, wo sind meine Leute. Es ist nicht sicher hier für Alessandros und mich. Diese
Kanzarai,
die Zwielichtkobolde, sind schon einmal hereingekommen in die Burg. Hier wir sind nicht sicher.« Sie sah finster drein und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, womit sie Kettelsmit immer noch nicht bis an die Schulter reichte. »Und ich mag nicht, wie mich die anderen ansehen, die Adligen. Diese Leute hier im Palast sind sehr unhöflich. Ich bin die Frau des Königs, wissen sie das nicht? Nein, hier es ist nicht sicher.«
    »Aber die Qar sind weg, Hoheit«, sagte Tolly. »Habt Ihr's noch nicht gehört?«
    »Weg? Wie meint Ihr?« Sie sah ihn an, als ob sie argwöhnte, es könnte ein Trick sein.
    »Wie ich es sage — sie sind weg. Wenn Ihr mir nicht glaubt, lasst Eure Zofen fragen, wen sie wollen. Die Qar haben ihre Zelte abgebrochen und sich zurückgezogen. Sie sind von unserer Küste verschwunden.«
    »Wirklich?«
    »Wirklich. Und jetzt, wenn Ihr bitte verzeiht, Hoheit, bedürfen dringende Angelegenheiten meiner Aufmerksamkeit. Ich bedaure zutiefst, dass ich nicht mehr Zeit mit Euch und dem Kronprinzen verbringen kann, aber wenn Ihr wollt, dass es für ihn noch ein Königreich zu erben gibt, dann habe ich eine Menge zu tun.«
    So einfach war es dann doch nicht; es verging noch mindestens eine Viertelstunde, ehe es Tolly gelang, sich aus dem Gemach der Königin zu entfernen. Seine Stimmung war nicht besser geworden. »Hält sie mich für einen Idioten?«, knurrte er, als er vor Kettelsmit die Treppe hinunterging. »Ist ihr nicht klar, dass ich überall Spione habe, sogar in ihren Gemächern? Ich kenne jede verräterische Äußerung, die sie über mich getan hat, jedes nörgelnde Wort. Sie hat Glück, dass ich sie noch ein Weilchen brauche ...« Er sah auf, als hätte er Kettelsmit erstmals seit langem wieder bemerkt. »Wo wir gerade von Spionen reden, Dichter — du hast mir noch gar nicht gesagt, in wessen Diensten du stehst.«
    Kettelsmits Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb wie eine Faust an eine Tür. »W-was ...?«
    Hendon Tolly verdrehte die Augen. »Halt, jetzt erinnere ich mich — ich habe dir gesagt, dass es mich nicht interessiert. Und das stimmt auch. Denn nach dieser Nacht wirst du entweder tot sein oder mit Leib und Seele mir gehören, kleiner Dichterling.« Er schien jetzt mit den Gedanken woanders. »Ja, heute Nacht. Du glaubst vermutlich, dass ich die Königin verführt habe, weil es mir um Macht ging«, sagte er unvermittelt.
    Kettelsmit konnte nur stammeln.
    »Oder um den speziellen Reiz, es mit

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