Das Herz
Zwielichtler nach all den Jahren wieder aus dem Norden eingefallen sind. Und ich weiß auch, dass sie die Stadt dort belagert haben.«
»Bei Euch klingt das so alltäglich, Pilgerbruder?« Der Händler schüttelte den Kopf und ließ sich von einem seiner Gehilfen noch mehr Bier bringen. Er war so großzügig, auch Theron nachzuschenken, blickte dann zu dessen schweigendem, vermummtem Auftraggeber hinüber und hob fragend die Augenbrauen.
»Möglich, dass er auch einen Becher will. Er ist aber etwas sonderbar, kann auch sein, dass er ablehnt.«
»Schon gut.« Der Händler hieß seinen Gehilfen einen weiteren Becher vollschenken und ihn dem jungen Diener des Vermummten bringen. Der Herr des Jungen nahm ihn kommentarlos entgegen und wandte nicht einmal den Kopf, um diese Freundlichkeit zu würdigen.
»Schon gut«, wiederholte der Händler, aber es klang ein klein wenig ärgerlich.
»Erklärt mir, was Ihr meint, werter Herr«, sagte Theron. »Ich habe so wenig Information über das, was vor uns liegt. Habt Ihr die Zwielichtler gesehen? Was sind das für Wesen? Bedrohen sie ehrliche Reisende?«
»Manche Leute behaupten, dass sie ehrliche Reisende
essen«,
sagte der Händler mit einem forcierten Lächeln. »Aber bisher hat mir noch niemand glaubhaft versichert, dass das jemandem passiert ist, den er kannte. Anders als mit den Räubern. Denen bin ich nicht nur selbst schon begegnet, ich habe auch Leute getroffen, die kein Abkommen mit ihnen zu schließen vermochten und zum Lohn für ihr Angebot ausgeraubt und verprügelt wurden. Manche haben Gefährten verloren. In dieser einsamen Gegend sind die Gesetzlosen zu allem entschlossen und überaus grausam.«
»O Heilige Drei, bewahrt uns!«, sagte Theron angstvoll. »Wie können wir diesen Leuten entrinnen? Gibt es irgendeine Möglichkeit, sie zu umgehen?«
»Das Schlaueste wäre, umzudrehen und nach Bokeburg, oder wo immer Ihr herkommt, zurückzukehren«, sagte der Händler ernst. »Wenn Ihr das nicht könnt, müsst Ihr zwischen den Räubern und den Zwielichtlern wählen. Die Räuber suchen die Straßen heim. Falls Ihr ihnen aus dem Weg gehen wollt, müsst Ihr den Fahrweg durch den nördlichen Blankenwald nehmen, und da ... nun ja, wer weiß, was Euch da erwartet.«
»Habt Ihr diese Zwielichtler gesehen?«, fragte Theron wieder. »Wie sehen sie aus? Sind sie grimmig?«
Der Händler schüttelte den Kopf. »Ich bin auf der Straße geblieben, also habe ich nicht viel Außergewöhnliches gesehen. Aber was ich gesehen habe, genügt mir. Reiter abends am Hang, nach uralter Art gekleidet, mit Rüstungen, die wie Mondlicht schimmerten. Ein Haufen Weiber, die um Mitternacht über die Wiese rannten, an einem Ort, wo keine Frau es wagen würde, sich auch nur zu zeigen, geschweige denn nackt herumzulaufen. Ja, ich habe schon ein paar seltsame Dinge gesehen, Pilgerführer, und von anderen gehört, die ich keinesfalls sehen möchte. Und dann die Träume, die einen dieser Tage überkommen, wenn man im Norden unterwegs ist ...! Nacht für Nacht bin ich schweißgebadet aufgewacht, manchmal so laut schreiend, dass meine Gehilfen herbeieilten, weil sie dachten, ich sei todkrank oder von einer Schlange gebissen worden. Da sind Stimmen, die von den Bergen widerhallen und durch den tiefen Wald schallen, und Schatten, die sich bewegen, auch wenn es kein Licht gibt, das sie erzeugen könnte ...«
»Genug!«, sagte Theron schaudernd. »Das reicht, danke. Ich traue mich kaum, auch nur heute Nacht hierzubleiben, geschweige denn weiterzuziehen.«
»Es ist nicht alles schrecklich«, sagte der Händler plötzlich. Er starrte ins flackernde Feuer. »Da war ... manchmal ... eine Art Schönheit in Dingen, die ich gesehen habe ... oder beinahe gesehen habe ...«
Aber Theron verlangte es nicht danach, solch seltsame, unheimliche Arten von Schönheit zu entdecken, und er begann zu überlegen, wann es wohl an der Zeit wäre umzukehren.
Der Junge hieß, wie Theron endlich erfahren hatte, Lorgan. Das war ein connorischer Name, wenn der Junge auch angab, in Bokeburg aufgewachsen zu sein.
»Wie kommt es, dass du mit dem Fremden herumreist, Junge?«, fragte ihn Theron eines Abends beim Eintopf. Im Vergleich zu der Mahlzeit mit dem fahrenden Händler war das jetzt allerdings Schmalkost, eher Getreidebrei als Eintopf, da der Dörrfisch gerade gereicht hatte, um der Masse etwas Geschmack zu geben, aber sie war warm und das Feuer hell, und das bedeutete etwas, wenn man eine halbe Tagesreise abseits der
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