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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Südstraße in den einsamen Wäldern war.
    »Hab doch schon gesagt, er hat mich gefragt.« Der Junge schöpfte mit einer harten Brotkruste noch etwas Eintopf heraus.
    »Und deine Eltern? Hatten sie nichts dagegen, dass du fort wolltest?«
    »Tot.«
    »Was ist geschehen?«
    Lorgan sah ihn verwirrt an, als wäre es eine seltsame, fremdländische Sitte, ein Kind nach seinen Eltern zu fragen. »Fieber war's.«
    Aus ihm Antworten herauszuholen war, als ob man einen Eimer mit einer Feder anheben wollte. »Und was war dann mit dir? Wo hast du gewohnt?«
    Der Junge zuckte die Achseln.
    »Und dann hat er ...«, Theron deutete mit dem Kopf zu dem vermummten Mann hinüber, der wie üblich allein abseits der anderen saß, den Kopf auf den Knien, als schliefe er, obwohl Theron ihn von hier aus vor sich hinmurmeln hörte, »... dich dafür bezahlt, ihn zu begleiten? Ihm zu helfen?«
    Der Junge zuckte wieder die Achseln. »Hat gesagt, er bräuchte Augen und Ohren. Und einen, der für ihn redet, weil sein Hals so wehtut.«
    »Was ist ihm widerfahren? Hat er dir das erzählt?« Der Fremde war so darauf bedacht, nie auch nur das kleinste Stückchen Haut zu zeigen, dass Theron manchmal immer noch fürchtete, er könnte trotz aller gegenteiligen Beteuerungen aussätzig sein.
    »Er war tot. Hat er mir erzählt.« Lorgan wischte den letzten Rest des Eintopfes aus dem Topf und leckte sich die Finger ab; er war rastlos wie ein Tier und jetzt, da er gegessen hatte, nicht darauf erpicht, noch länger stillzusitzen.
    »Er kann nicht tot gewesen sein und jetzt wieder leben. So etwas gibt es nicht. Niemand kommt von den Toten zurück außer dem Waisen. Das kann niemand.«
    »Die Götter können es«, sagte der Junge und leckte sich Lippen und Kinn für den Fall, dass da noch etwas zu holen war.
    »Du willst mir doch nicht erzählen, dass er ein Gott ist?«
    »Nein. Aber sie können ihn doch wieder lebendig gemacht haben, oder? Die Götter können alles, was sie wollen.« Der Junge zuckte ein letztes Mal mit den Schultern und ging dann weg, um Steine an Bäume zu werfen, bis das letzte Tageslicht verschwand. Die Unterhaltung war offensichtlich vorbei. Theron musste sich eingestehen, dass er dem Kind nicht das Gegenteil beweisen konnte — die Götter vermochten ja wohl wirklich alles, was sie wollten. Es war nur so, dass Sterblichen zu helfen nicht gerade das schien, was sie am dringendsten wollten.
    Kurz hinter der Grenze nach Südmark, im Aulastal, wo der Wald beidseits der Straße so dicht war, dass die Sonne erst kurz vor Mittag erschien und schon bald darauf wieder verschwand, sah Theron Pelgriner erstmals richtige Elben. Es war noch nicht ganz dunkel, und er stapfte gerade in nassen Stiefeln zum Lager zurück, die Arme voller Malvenwurzeln, die er am Flussufer ausgegraben hatte, als er sah, wie sich auf dem Waldweg vor ihm etwas bewegte. In gewisser Weise wirkten die Gestalten ganz normal, so normal, dass Theron sich ein, zwei Herzschläge lang nicht einmal wunderte, dass eine Prozession schwarz gekleideter Männer langsam einen Wildpfad im nördlichen Blankenwald überquerte. Dann bemerkte er, dass diese Männer so klein waren wie Kinder, kaum halb so groß wie er, und seine Arm- und Nackenhaare sträubten sich. Die Männer trugen schwarze Umhänge und seltsame breitkrempige Hüte, und direkt hinter ihnen folgte, noch während er hinstarrte, ein Wagen, der von zwei schwarz-weiß gefleckten wilden Ebern gezogen wurde — ein Leichenwagen, beladen mit einer einzelnen, schmucklosen Holzkiste. Als die Wildschweine den Boden beschnüffelten, kam der Wagen zum Stehen, und der Fahrer, genauso schwarz gekleidet wie die anderen, schaute zu Theron herüber. Das Gesicht des kleinen Mannes war blass und rund und zu groß für seinen Körper. Theron konnte gerade noch den Urin halten. Er war sich sicher, dass er, wenn diese kleinen Männer auch nur den kleinsten Schritt auf ihn zu täten, auf der Stelle in Ohnmacht fallen würde, aber der Fahrer starrte ihn nur einen Augenblick gleichgültig an und ließ dann die Zügel schnalzen, um seine grunzenden Zugtiere vorwärtszutreiben. Im Nu war der Leichenzug, wenn es denn einer war, im Wald verschwunden.
    Theron zitterte immer noch, als er im Lager anlangte.

    Die Wachen, die den Reichshüter und Kettelsmit bei ihrer mysteriösen Erledigung außerhalb des Palastes begleiteten, waren bullige Männer mit grimmigen Gesichtern und dem Eber-und-Speere-Wappen der Tollys — Soldaten aus Hendons Leibgarde. Noch

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