Das Herz
weiter schickst, dahin, wo die Luft nicht ganz so feucht ist ...
Weiter schickst?, dachte Barrick. Wohin? Reicht es noch nicht mit dieser ganzen Reiserei ...?
Er und Saqri stiegen langsam empor. Das Grün wurde heller, die Lichtstrahlen verschmolzen zu einem Rund, das hoch über ihnen leuchtete wie eine glühende Jadesonne.
Und als Barrick emporstieg, erwachten die Stimmen der Feuerblume zu einem Chor der Verwunderung und Beunruhigung, als ob sie durch das Dunkel der Tiefe eingeschläfert, jetzt aber durch das Lichtrund wieder geweckt worden wären.
Empor aus dem Grün ...
Gerettet durch Feuchtes Nachkommenschaft!
Nein, traut ihnen nicht ...!
Und dann weitete sich das Licht über ihm aus, so schnell wie ein Buschfeuer an einem Berghang, ein Gleißen, das noch weiter wurde und ihn verschluckte, als er aus dem Grün hervorbrach, japsend und um sich schlagend. Er erblickte nicht, wie er erwartet hatte, offene See, eine endlose Wellenwüste, sondern aus dem Wasser ragende Felsen und dahinter eine vage Silhouette, die er so lange nicht gesehen hatte, dass er sie kaum wiedererkannte, zumal die Stimmen in ihm zu einem Crescendo anschwollen.
Die Letzte Stunde des Ahnherrn ...!
Wir dürfen diesen Ort noch einmal wiedersehen! Preis den ehrenhaften Kindern Brises!
Möge Frieden um sie sein!
Am Horizont erhob sich, im weißen Licht der Morgensonne wie aus Eis gehauen, Südmarksburg, der Ort, an dem Barrick geboren und aufgewachsen war. Der Anblick erschien ihm nicht mehr vertraut, sondern wie etwas Schönes und Fremdes.
Er machte ihm Angst.
Ein Knall ganz in der Nähe, so laut wie ein Donnerschlag, ließ Barrick zusammenschrecken. Es knallte wieder, aber diesmal sah er am Festlandsufer eine Rauchfahne. Kanonen! Jemand beschoss Südmarksburg.
Vor Verblüffung hörte er einen Moment auf, Wasser zu treten, und versank im Wasser der Bucht. Da erst merkte Barrick, dass ihm der Mund offen stand.
Vor Husten und Spucken wäre er beinah ein zweites Mal untergegangen, aber da hörte er Saqris Stimme, so laut und energisch, dass es war, als packte ihn eine Hand am Kragen.
Schwimm, dummes Kind. Schwimm an Land.
An Land? Selbst das nächstgelegene Stück Buchtufer war zu weit weg, und außerdem feuerte von dort die Kanone!
Nicht dahin,
erklärte ihm Saqri. Barrick, der zusehends ermattete, drehte sich paddelnd im Kreis, aber Saqri war nirgends. Etwas anderes aber sah er.
Ja,
sagte
sie. Dorthin. Schwimm.
Vom Land weggedreht, mit der Schulter zur Burg, konnte er es schließlich erkennen — ein weiterer Felsklotz, der nicht so hoch aus dem Wasser ragte wie der Sockel der Südmarksfeste, aber vom selben kabbeligen Buchtwasser umspült war. Wieder begriff er nicht gleich, was es war, auch als er bereits die eckige Form des Sommerhauses auf der Insel ausgemacht hatte.
M'Helansfels.
Barrick bot seine letzten Kräfte auf und schwamm.
9
Das Scherenmonster
»Nach vielen Abenteuern und Gefahren wurde er schließlich wegen gesetzeswidrigen Bettelns von der Stadtwache aufgegriffen und vor den Rat gebracht. Da sich zeigte, dass der Waisenknabe nicht der Krüppel war, für den er sich ausgab, wurde er als Sklave in den Tempel der Zuriyal geschickt ...«
Der Waisenknabe, sein Leben und Sterben und himmlischer Lohn — ein Buch für Kinder
Ist nicht nötig, dass Ihr weiter mitgeht, Hauptmann«, sagte Schlegel Jaspis zu Vansen. »Ehrlich gesagt, ein paar von den Gängen könnten für Euch zu niedrig sein.«
»Wir werden ja sehen, Wachführer. Geht Ihr voran, ich komme nach.«
Die übrigen Funderlinge, fünf eher frischgebackene Zunftwächter, blickten besorgt zwischen Vansen und Jaspis hin und her. Sie hielten jeder einen Gurodir, einen schweren Spieß mit breiter Eisenspitze und Eichenholzschaft, nicht unähnlich der Saufeder. Diese Kriegswaffe war bei den Funderlingen schon lange nicht mehr in größerer Zahl benutzt worden; jetzt hatte man jedes Exemplar, das sich in Funderlingsstadt auftreiben ließ, requiriert und repariert, und weitere wurden angefertigt. Selbst Vansen trug einen solchen Spieß, obwohl er das vertrautere Schwert und den Dolch behalten hatte.
Er übergab mit einer Handbewegung Jaspis die Führung der Patrouille und ließ dann auch die anderen an sich vorbei, damit sie auf dem letzten Stück zum Mondlosen Grund vorangingen. Die letzte Patrouille, geführt von einem von Jaspis' verlässlichsten Männern, hatte sich heute Morgen auf ihren Rundgang durch die Höhlen gemacht und war nicht zurückgekehrt.
Als sie
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