Das Herz
alle gezeigt?«
»Später«, sagte Chert rasch. »Ich würde sie sehr gern sehen, Wachführer, wirklich, aber Hauptmann Vansen wartet auf mich.«
»Ah ja, dann müsst Ihr natürlich hin. Es ist wirklich ein Glück, dass wir den Hauptmann haben. Er ist beinah so gut ... nein, ich geb's zu, er ist so gut wie ein Funderling. Ist auf den Trick mit dem großen Stein da gekommen, der Hauptmann, wie das verfluchte Krebsspinnenvieh auf uns los ist. Wir wären jetzt alle in seinem Bauch, wenn Hauptmann Vansen nicht gewesen wär.«
»Ja, es ist ein Glück, dass wir ihn haben«, pflichtete ihm Chert bei.
Er ließ Jaspis weiter Ausschau halten, ob vielleicht irgendjemand vorbeikam, der die mächtige, stinkende Schere noch nicht gesehen hatte, und ging zum Refektorium, das Vansen, Zinnober und die übrigen zum Hauptquartier des Verteidigungsstabes gemacht hatten. Es beunruhigte Chert ein bisschen, dass Vansen ihn sprechen wollte, nicht weil er Angst gehabt hätte, wieder auf eine gefährliche Mission geschickt zu werden — allein nur hier unter der Burg zu leben, war dieser Tage schon gefährlich genug —, nein, er fürchtete, Vansen würde ihn irgendwohin schicken wollen und er würde Opalia erklären müssen, dass er wieder fortging. Sie war noch nicht lange wieder zurück und ohnehin schon besorgt, weil Flint so seltsam geworden war: Ihr noch eine schlechte Nachricht beizubringen, wäre mit Sicherheit unangenehmer als jede Riesenkrebsspinne.
Zu Cherts Überraschung saß Vansen allein im Refektorium. Er brütete über einem Stapel von Pergamenten und — was noch erstaunlicher war — Stößen kostbarer Glimmerblätter aus der Tempelbibliothek. Bruder Nickel muss sich ins Hemd gemacht haben, als Vansen die haben wollte und Zinnober sich hinter ihn gestellt hat, dachte Chert nicht ohne eine gewisse Genugtuung.
Vansen sah müde aus, mit Augenringen, als hätte ihm jemand zwei Veilchen geschlagen, und hängenden Schultern, aber für Chert brachte er dennoch ein Lächeln auf »Seid gegrüßt, Meister Blauquarz. Wie geht's der Familie?«
Die Frage rührte Chert. »So gut, wie man's erwarten kann, Hauptmann. Der Junge ist sehr still und nachdenklich, und wir kriegen kaum ein Wort aus ihm heraus, aber das ist immer noch besser, als wenn er überall herumwandert und sich dauernd in irgendwelche Schwierigkeiten bringt.«
Der Großwüchsige lachte leise. »Er ist nicht gerade die größte Freude der Metamorphose-Brüder, was?«
»Kann man so sagen.« Chert hatte selbst nicht so ganz die Energie für ein Lächeln. »Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, worauf wir uns da eingelassen haben, der Junge ist oft so merkwürdig. Es ist, als hätte man ein Zwielichtlerkind — einen Wechselbalg.«
Vansen blickte ihn einen Moment zerstreut an, dann verengten sich seine Augen. »Er ist tief in all diese Geschehnisse verwickelt. Ich weiß nicht, warum wir den Qar nicht von ihm erzählt haben — vor allem der Fürstin Yasammez.«
Chert unterdrückte ein Schaudern. »Ich habe einmal als Gefangener vor ihr gestanden — als zum Tode verurteilter Gefangener, genauer gesagt. Ich reiße mich nicht um eine weitere Audienz.«
»Jedenfalls ist da an Eurem Jungen irgendetwas Wichtiges, das wir verstehen sollten, Chert, da bin ich mir sicher — aber es bräuchte einen schärferen Blick als den meinen, um es zu durchschauen. Vielleicht kann ja Chaven das Rätsel lösen.« Vansen seufzte. »Nun ja, wir haben auch so schon Probleme genug. Ich wollte Euch fragen, Freund Chert, ob Ihr mir einen Gefallen tun könntet.«
»Natürlich, Hauptmann. Wir sind doch alle hier, um Euch zu helfen.« Aber jetzt bekam es Chert Blauquarz doch etwas mit der Angst bei der Vorstellung, dass ihm irgendein neues, verrücktes Abenteuer bevorstand — vielleicht ein heimlicher Ausflug hinauf in die Burg, um Hendon Tollys Taschentuch zu stehlen, oder ein Botengang zum Autarchen, um ihn zur Kapitulation aufzufordern.
»Seit ich hier unter der Burg bin«, sagte Vansen, »ist alles so verwirrend. Nein, alles natürlich nicht«, korrigierte er sich schnell, »aber vor allem die Richtungsangaben bei euch Funderlingen. Ich weiß nicht, was ›streichend‹ heißt und ›einfallend‹ und all diese Dinge, aber ...« — er hob die Hand, um Cherts Erklärung zu unterbinden — »das Schlimmste ist, dass ich das Terrain einfach nicht kenne.«
»Wir haben viele Karten ...«, setzte Chert an.
»Ja, und die meisten habe ich hier vor mir liegen«, sagte Vansen. »Seht selbst. Hier
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