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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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weiterreden würde, ohne dass er nachfragte. Was sie aber natürlich nicht tat. »Und was ist das für Arbeit ...?«
    »Chert Blauquarz, ich kann dir sagen, du bist die Trübung im Kristall meines Glücks.« Sie sagte es nur halbernst, aber das Problem war, dass bei ihr auch das schon Warnsignal genug war. »Ich habe dir mehrmals erklärt, dass mich Vermillona Zinnober gebeten hat, mit für die Verpflegung der Männer zu sorgen. Bei den Alten der Erde, glaubst du wirklich, man kann Hunderte von Männern hier unten einquartieren, ohne sich Gedanken darüber zu machen, was sie essen sollen? Glaubst du, die Mönche haben einen Zaubergarten, der einfach mehr Nahrung wachsen lässt, wenn man ihn darum bittet?«
    »Nein, natürlich nicht ...«
    »Natürlich nicht. Also schicken wir jetzt viele Frauen in die Pilzgärten, um sie zu bestellen, und alte, die brach liegen, neu anzupflanzen. Und außerdem bringen wir natürlich auch Nahrungsmittel aus der Stadt hierher, was heißt, dass jemand die Karawanen organisieren muss.«
    »Karawanen?«
    »Wie sonst würdest du es nennen, wenn ein Dutzend Eselskarren zweimal am Tag hin- und herziehen?« Die Esel von Funderlingsstadt, die von doppelt so großen oberirdischen Vorfahren abstammten, hatten sich in der Tiefe nie sonderlich gut vermehrt, weshalb es nur wenige gab. Dass die Zunft für diese Sache so viele zur Verfügung gestellt hatte, zeigte den Ernst der Lage — und Vermillona Zinnobers Autoriät. Und Opalia war jetzt Vermillonas Vizekommandeurin. Chert war stolz auf seine Frau. »Esel und Eseltreiber, und dann haben wir noch zwanzig Mann, die die kleineren Lasten tragen, und Zunftwächter, die alle beschützen. Das ist eine ganz schöne Prozession, die da die Erzstraße entlangzieht.«
    »Die Männer hier unten können wirklich von Glück sagen, dass ihr für sie sorgt.«
    »Ja.« Sie war schon etwas besänftigt. »Ja, das können sie allerdings.«
    Sooft er den Jungen irgendwo antraf, waren die Umstände etwas anders als erwartet. Diesmal war Flint zwar tatsächlich in Chavens Zimmer, wie Opalia gesagt hatte, aber der Arzt war nicht da. Der flachsblonde Junge kniete auf Chavens Hocker an einem Tisch und studierte ein ledergebundenes Notizbuch.
    »Das sieht kostbar aus«, sagte Chert. »Hat Chaven auch bestimmt nichts dagegen, dass du es anfasst?«
    Flint schien die Frage gar nicht zu hören. »Es geht die ganze Zeit um Spiegel«, sagte er wie zu sich selbst. »Aber kein Spiegel auf Erden ist so groß, dass er das Tor eines Gottes sein könnte ... «
    »Flint?«
    Der Junge drehte sich um, und einen Moment lang schien er nichts als ein Kind, das bei etwas ertappt wurde, was es nicht tun sollte: Er sah Chert mit großen blauen Unschuldsaugen an und klappte das Buch schnell zu. Aber Chert sah, dass er den Finger zwischen den Seiten ließ, um die Stelle zu markieren, bis Chert wieder weg wäre. »Hallo, Papa Chert. Mama Opalia hat dich zu mir geschickt, damit du mit mir redest, stimmt's?«
    »Hmm, ja, stimmt. Sie hat gesagt, du hättest gesagt, ich würde ›es vielleicht verstehen‹? Was verstehen, Flint?«
    Der Junge zog die Beine an und saß jetzt im Schneidersitz auf dem Hocker wie ein Orakel auf einer Säule. »Ich bin nicht wie andere Kinder.«
    Dem konnte Chert nicht widersprechen. »Aber du bist ein guter Junge«, sagte er. »Deine Mutter und ich ... wir ...« Er wusste nicht, wie weitermachen.
    »Aber das Problem ist«, fuhr Flint fort, »ich weiß nicht warum. Ich weiß nicht, warum ich so viele Gedanken und Ideen in mir habe, die irgendwie ... anders sind. Warum kann ich mich nicht an mehr erinnern?«
    Chert hob hilflos die Hände. »Als wir dich gefunden haben ... hinter der Schattengrenze ... na ja, wir wussten immer schon, dass da irgendein Zauber auf dir liegen muss. Ich jedenfalls habe es gleich gewusst. Opalia wusste es auch, wollte sich aber nie eingestehen, dass sie's wusste.« Er ließ die Hände sinken. »Tut mir leid, Junge. Ich hatte keine Ahnung, dass es auch für dich schwer ist.«
    »Manchmal denke ich, ich muss von hier weggehen«, sagte Flint. »Um all das rauszufinden, was ich wissen will. Um rauszufinden, warum ich so ... bin, wie ich bin.«
    »Wenn du erwachsen bist, Junge, und wenn es dann das ist, was du willst ...« Doch noch während er es sagte, wusste er, dass Opalia schon diese entfernte Zustimmung als eine Art Verrat empfinden würde. »Aber du weißt ja, dass deine Mutter dich sehr lieb hat ... und ich auch ...«
    Der Junge schüttelte

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