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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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mehr rot. Er war blass geworden, so blass, als ob ein Fieber in seinem Blut plötzlich von verzehrender Hitze in Todeskälte umgeschlagen wäre.
    »Ein erbärmlicher Wicht ist, wer es nicht zugibt, wenn er einen ebenbürtigen Widerpart gefunden hat«, sagte er. »Ich gebe es zu. Sulepis ist gewieft. Die Heiden halten ihn für einen Gott. Seine Armee ist die größte der Welt. Er ist ... ein würdiger Gegner.« Er warf einen Seitenblick auf Kettelsmit, als wollte er ihn warnen, ja nichts Gegenteiliges zu sagen. Kettelsmit hatte inzwischen gelernt, dass es ratsam war, überhaupt nur etwas zu sagen, wenn er gefragt wurde, und zuweilen noch nicht mal dann. »Ich dachte, wir hätten jeder einen Teil dessen, was erforderlich ist — Sulepis das Blutopfer und ich den Spiegel. Ich dachte, wir bräuchten uns gegenseitig — und Sulepis dachte es auch. Aber es ist noch etwas nötig — dieser Gottstein. Den hat Sulepis nicht, und ich habe ihn auch nicht. Um die Wahrheit zu sagen: Ich habe überhaupt nichts, was er braucht, und deshalb sind wir alle dem Untergang geweiht.«
    Tolly hob den Becher an den Mund, nahm einen ergiebigen Schluck und wischte sich dann mit dem Handrücken das Kinn ab. Er war
sehr
betrunken. »Okros, dieser Dummkopf, hat mich irregeführt. Vielleicht wollte er mich ja täuschen, um irgendwie selbst die Macht zu erlangen, vielleicht hat er es auch einfach nicht gewusst. Jedenfalls hat er mir nichts von einem Gottstein oder sonst irgendeinem magischen Schnickschnack gesagt.« Er sah sich mit glasigen Augen um, als suchte er seine Zuhörerschaft, die im Moment nur aus Matty Kettelsmit bestand. »Aber ich
werde
einen Weg finden, die Göttin zu befreien. Sie ist mein. Das hat sie mir selbst gesagt. Und ich werde auch einen Weg finden, sie dem Xixier vorzuenthalten.«
    Kettelsmit verstand nicht viel. Der Protektor nannte das, was zu ihm gesprochen hatte, immer wieder »die Göttin«, aber der Autarch von Xis hatte es mehrmals einen Gott genannt. Was stimmte denn nun? Und was hatte diese Verwirrung zu bedeuten?
    Tolly blickte jetzt auf Kettelsmit hinab und sah dessen Gesichtsausdruck. Der schien ihm nicht zu gefallen. »He, du. Fragst du dich, warum ich dich am Leben lasse, Dichter?«, herrschte er ihn an. »Warum ich dich nicht einfach töte, nachdem ich dich beim Spionieren erwischt habe? Antworte.«
    Wie immer suchte Kettelsmit nach den richtigen, den wohlbedachten Worten. »Ich vermute schon, dass ich es mich gefragt habe, Herr.«
    »Du vermutest, ja.« Die schmalen Lippen verzogen sich zu einer Art Lächeln. »Wie so viele andere auch. Aber ich, Junge, ich bin anders. Ich vermute nicht — ich muss
wissen.
Hast du mich verstanden?« Tolly hatte jetzt die Augen geschlossen, als wäre er tief in Gedanken oder Erinnerungen versunken; er wartete gar keine Antwort ab. »Menschen sind armselige kleine Kreaturen, die meisten jedenfalls, sie wieseln und krabbeln umher wie Mäuse. Jahrhundertelang krabbelten sie um die Füße der Götter, meist in der Hoffnung, unbemerkt zu bleiben. Doch auch als die Götter ihnen schließlich den Rücken kehrten, blieben die Menschen krabbelnde Kreaturen. Wie Nager in den Wänden lebten sie ihr Leben auch weiterhin in Angst vor größeren Wesen, ohne zu wissen oder sich auch nur dafür zu interessieren, was jenseits ihrer kleinen Schlupflöcher war. Sie fürchteten die Götter auch dann noch weiter, als diese sie im Stich gelassen hatten. Aber ich bin keine Maus, Dichter. Ich fürchte weder die Götter noch sonst jemanden. Das Einzige, was ich fürchte, ist, nicht verstanden zu werden.«
    Die Augen noch immer geschlossen, schwieg Hendon Tolly eine ganze Weile — so lange, dass Kettelsmit schon erwog, sich auf die Suche nach etwas zu essen und zu trinken zu machen. Da sprach Tolly plötzlich weiter.
    »Wer könnte mich denn verstehen? Nicht ein Mann unter zehntausend, Dichter. Keine zehn Männer in ganz Eion. Der Autarch — er ist einer der wenigen. Es geht mir gegen den Strich, das zugeben zu müssen, aber er ist einer der wenigen.
Er
ist wahrhaft
lebendig,
verstehst du. Er weiß: Das Maß des Universums ist der ausgreifende Arm eines großen Mannes — nicht mehr und nicht weniger.« Hendon Tolly öffnete die Augen. Für jemanden, der so viel getrunken hatte, wirkte er jetzt erschreckend nüchtern. »Deshalb bist du hier, Dichter. Weil du über das schreiben musst, was ich tue. Du musst Zeuge meines Unterfangens sein — damit ich verstanden werde.«
    »Von mir, Herr?«
    Tollys

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