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Das Herz

Das Herz

Titel: Das Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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umherspazierte. Wenn etwas Matty Kettelsmit mit der festen Gewissheit zu erfüllen vermochte, dass er noch vor dem todgeweihten Hofnarren hingerichtet würde, dann war es die Anwesenheit seiner Mutter, die so dumm und selbstgefällig war wie ein Pfau und so diskret wie ein plärrendes Kind. Es wäre ein direkt von Zosim bewirktes Wunder, wenn sie nicht schon einem halben Dutzend Leuten alles über Elan M'Cory erzählt hatte.
    Die Götter hatten offenbar neue Möglichkeiten gesucht, sich auf Kosten eines bescheidenen, kleinen Dichters zu amüsieren, und jetzt hatten sie eine gefunden.
    Puzzle blieb am Leben. Als er wieder erschien, hatte der Protektor offenbar entweder die ganze Sache völlig vergessen oder aber schlicht das Interesse daran verloren. »Wer? Der Narr?«, fragte er den Wachsoldaten, der den Raum betreten hatte, um Puzzles erneuten Besuch anzukündigen. Hendon Tolly hob nicht einmal den Blick von seinem Becher mit unverdünntem Wein — etwa dem zwölften an diesem Abend. »Schickt ihn weg. Dieses trübselige Pferdegesicht! Da werden mir ja noch die letzten Restbestände dieses köstlichen torvischen Roten sauer!« Der Wachsoldat verschwand. Tolly sah Kettelsmit plieräugig an. »Los! Sorgt dafür, dass dieser Trottel ihn wirklich wegschickt. Und sagt ihm, er soll dem alten Wrack noch einen ordentlichen Fußtritt mitgeben.«
    Ehe Kettelsmit zur Tür gelangen konnte, sprang der Burgvogt, Timan Fretup, plötzlich auf. »Ich kümmere mich um den Narren, Herr. Ruht Euch aus.«
    Tolly machte nur eine winkende Handbewegung, ohne einen von ihnen anzusehen.
    Beide wollten sich keinesfalls die Chance entgehen lassen, der unmittelbaren Nähe ihres Gebieters zu entkommen, und sei es nur für Momente. Also strebten beide gleichzeitig zur Tür des Gemachs hinaus. Puzzle war bereits von dem Wachsoldaten weggeschickt worden und trottete gerade erleichtert und verwirrt in Richtung Küche.
    »Puzzle, wartet!«, rief ihm Kettelsmit nach.
    »Ich
werde ihm die Botschaft übermitteln«, zischte Fretup. »Ich bin der Höhergestellte.«
    »Wie Ihr wünscht, Herr.« Kettelsmit war nicht so dumm zu widersprechen.
    Der Vogt rauschte mit aller Autorität, die er aufbieten konnte, den Gang entlang, wobei sein langes, pelzbesetztes Gewand um seine Samtpantoffeln schwang. Er nahm sich offenkundig so viel Zeit wie möglich, um Hendon Tollys Äußerungen in aller Ausführlichkeit wiederzugeben, während der alte Hofnarr immer verdrossener dreinsah.
    »Aber er hat doch gesagt, ich soll wiederkommen?«, protestierte Puzzle, dem offensichtlich entfallen war, dass diese neuerliche Audienz höchstwahrscheinlich mit seiner Hinrichtung geendet hätte. »Seht doch! Ich habe eine neue Zerstreuung vorbereitet — der schwebende Ball!«
    Nachdem Puzzle endlich mit großer Mühe den umherspringenden Ball eingefangen hatte, wurde er seiner Wege geschickt. Kettelsmit wartete, dass der Vogt zur Tür zurückkäme, damit sie gemeinsam wieder hineingehen könnten, doch zu seinem Erstaunen winkte ihm Tirnan Fretup, sich mit ihm ein Stück von den Wachsoldaten zu entfernen.
    »Der Protektor will nicht, dass ich zu lange wegbleibe ...«
    Fretup sah ihn unwirsch an. »Ja, ja. Genug damit.« Er war ein großgewachsener Mann mit einem runden, jugendlichen Gesicht, das in den letzten Monaten allerdings um einiges gealtert war. An diesem Tag war er schlecht rasiert und sah rot und verquollen aus. »Ich möchte Euch sprechen, Kettelsmit. Ihr werdet doch wohl dem Vogt von Südmarksburg nicht einfach den Rücken kehren?«
    »Nein, Herr.«
    »In letzter Zeit seid Ihr viel in der Nähe unseres Gebieters. Kein Wunder, könnte man meinen, wenn diese Vogelscheuche, die uns gerade verlassen hat, Euer einziger Konkurrent in Sachen Unterhaltung ist. Aber es scheint doch trotzdem merkwürdig, dass der Protektor so viel Gefallen an der Anwesenheit eines bloßen Dichters findet.«
    Eifersucht? Oder etwas Komplizierteres? »Lord Tolly tut, was ihm beliebt, Lord Fretup. Und er bekommt, was er wünscht.«
    Der andere musterte ihn eingehend. »Wir haben nur kurze Zeit, bis Tolly unsere Abwesenheit bemerken wird, auch wenn er noch so betrunken ist. Beantwortet meine Frage ehrlich, und Ihr werdet vielleicht einen Freund haben, wenn Ihr eines Tages einen braucht. Was ist mit Okros, dem Arzt, passiert? Ich weiß, dass die Geschichte, die man uns auftischt, erlogen ist.«
    »Ich weiß nicht. Er ist gestorben ...«
    Die brennende Ohrfeige kam so schnell, dass Matty Kettelsmit nicht

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