Das Hexen-Amulett (German Edition)
gesprochen worden, und so stieg er auf das Schafott, um die Menge zu beruhigen.
«Geduld, liebe Leute. Bald ist es so weit. Morgen werdet ihr eine Hexe sterben sehen. Anschließend wird die Stadt für uns alle sicherer geworden sein.» Die Menge spendete johlend Beifall. Treu-bis-in-den-Tod Hervey sprach ein Gebet, bat Gott, dass er ihm Kraft für seinen Kampf gegen das Böse geben möge, und versprach den Leuten, nicht zu ruhen, bis auch die letzte Hexe beseitigt sein würde.
Fernab in seinem Haus am Strand erwartete Sir Grenville Cony vier hochrangige Besucher, die allesamt Mitglieder des Unterhauses und strenggläubige Puritaner waren, weshalb er das Bildnis des nackten Narziss hatte zuklappen lassen. Auf dem Tisch lag aufgeschlagen eine Bibel, die sein Sekretär mit zahlreichen Randnotizen versehen hatte. Die vier Gentlemen mussten allerdings noch eine Weile warten, denn Sir Grenville hatte sich noch um einen anderen Gast zu kümmern.
Septimus Barnegat war vielleicht der einzige Mann, der Sir Grenville Cony nicht fürchtete, denn als Astrologe und Deuter der kosmischen Geschicke war er geschützt, und die Wahrheiten, die er aussprach, konnten weder durch Drohungen noch durch Schmeicheleien ins Wanken gebracht werden. Barnegat war als Wahrsager weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt und konnte darum für seinen Rat sehr viel Geld verlangen. Kaufleute, Seefahrer und Adlige befragten ihn nach der Zukunft, weshalb er immer sehr beschäftigt war. Er war allerdings äußerst jähzornig und geriet schnell in Rage, wenn ihm Fragen gestellt wurden, die mit seinem Wissensgebiet nichts zu tun hatten. Eine solche Frage war ihm soeben von Sir Grenville gestellt worden. Barnegats Antwort fiel entsprechend barsch aus.
«Woher soll ich das wissen, Sir Grenville? Nennt mir die Geburtsdaten des Mädchens. Dann könnte ich Euch antworten, allerdings nicht auf Anhieb. Es braucht seine Zeit, bis die Tabellen studiert und sämtliche Einflüsse bedacht sind.» Er zuckte mit den Achseln. «Natürlich müssen wir alle sterben. Nichts ist so gewiss. Aber ob es schon morgen sein wird, kann selbst ich nicht vorhersagen.»
Sir Grenville wippte, die Hände über dem mächtigen Bauch gefaltet, auf seinem Sessel vor und zurück. «Und aus meinen Tabellen ist nichts zu ersehen?»
«Doch, natürlich. Aber keine weiblichen Einflüsse. Vielleicht ist es das, was Ihr zu hören wünscht.» Barnegat erlaubte sich ein kleines Schmunzeln. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sir John Henge der Angeklagten gegenüber Milde zeigt.»
«Nein. Und wegen dieser anderen Geschichte?»
Barnegat seufzte. «Welche? Da sind tausend andere Geschichten.»
«Der Feind aus Übersee.» Sir Grenville machte einen auffallend demütigen Eindruck im Beisein des berühmten Sternendeuters, mit dem wahrhaftig nicht gut Kirschenessen war. Der legte die Stirn in Falten, blickte auf das wunderschön gezeichnete Planetenschaubild und nickte behäbig. «Ja, da ist ein Widersacher jenseits des Meeres. In der Konstellation trifft diesbezüglich einiges zusammen.» Er spitzte seine Lippen. «Die Gefahr droht von Osten.»
«Seid Ihr sicher?» Sir Grenville beugte sich neugierig vor. Im Osten lag Holland, und ebendort hielt sich Lopez auf. Den Juden fürchtete er weit weniger als den Feind im Westen.
Barnegat gab sich erschöpft. «Wenn ich mir nicht sicher wäre, hätte ich es nicht gesagt. Wenn ich etwas nicht weiß, räume ich das auch ein. Eure Frage erübrigt sich also.»
«Gewiss, gewiss.» Sir Grenville nahm die Zurechtweisung kaum zur Kenntnis. «Wird er nach England kommen?»
Die astrologische Wissenschaft war ein heikles Unterfangen. Es gab in Europa zwar kaum einen König oder Staatsmann, Bankier oder Kaufmann, der irgendeine Entscheidung getroffen hätte, ohne vorher die Gestirne zu befragen, doch keiner von ihnen wusste auch nur annähernd um die Komplexität der Arbeit eines Astrologen. Sie war ein Mysterium, das nur einige wenige Eingeweihte durchschauten, jene nämlich, die ihre Tage und Nächte dem Studium der wundervollen Sternen- und Planetenbahnen widmeten. Den Zweiflern, von denen es auch welche gab, wenn auch nur sehr wenige, pflegte Septimus Barnegat die Frage entgegenzuhalten, wieso Astrologen denn nicht Hunger litten, wenn ihre Wissenschaft nichts tauge. Gleichwohl hütete er sich zuzugeben, dass die Lösung mancher Probleme gewissermaßen auf der Hand lag und darum keiner komplizierten, zeitaufwändigen Analyse harmonischer Sphären
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