Das Hexen-Amulett (German Edition)
ab, besonders fleißig zu sein. Der Ausgang des Verfahrens schien festzustehen, offen war lediglich die Frage, für welchen Urteilsspruch sich Richter Sir John Henge entscheiden würde. Die Mehrheit der Londoner Bevölkerung sähe die Angeklagte am liebsten gehängt. Die Zeit der Hexenverbrennungen war vorbei, und so hofften alle darauf, dass der Hexe hoch oben auf dem Schafott und für alle gut sichtbar der Strick um den Hals gelegt würde. Andere wünschten sich für sie einen langsameren Tod. Ihre Verbrechen, so sagten sie, seien so abscheulich, dass ein abschreckendes Exempel an ihr statuiert werden müsse. Sie wollten die Verurteilte auf der Streckbank und gevierteilt sehen. Das würde nicht nur andere Hexen davon abschrecken, ihre Familiare auf bewaffnete Männer zu hetzen, es hatte den zusätzlichen Vorteil, dass das Opfer nackt ausgezogen wurde, bevor man ihm die Eingeweide aus dem Leib schnitt und vor seinen Augen verbrannte. Der nackte Körper einer jungen Frau würde den Preis verdoppeln, den man für einen Fensterplatz auf den Tower Hill nehmen konnte. Auch diejenigen, die, wie zu solchen Anlässen üblich, kleine Tribünen vor der Hinrichtungsstätte bauten, favorisierten eine schwerere Strafe.
Andere, die sich Gedanken darüber machten, dass die Revolution womöglich fremde Ideen in England freisetzen könnte, sprachen sich für den Scheiterhaufen aus. Eine wegen Totschlags an ihrem Mann verurteilte Frau sollte gehängt werden, für eine Frau aber, die ihren Mann vorsätzlich ermordet hatte, wäre eine härtere Strafe angebracht. Denn Frauen mussten im Zaum gehalten werden, und viele unbescholtene Bürger vertraten die Ansicht, dass der Anblick einer im Feuer hingerichteten Gattenmörderin allen Zuschauerinnen einschärfen würde, dass die Revolution keinen Gattenmord erlaubte.
In einer Hinsicht aber herrschte allgemeine Übereinstimmung, und entsprechend wurden sämtliche Kirchengemeinden in und um London auf das große Ereignis vorbereitet. Wahrscheinlich hatten nie zuvor so viele puritanische Pfarrer gleichzeitig denselben Text für ihre Predigt gewählt, nämlich aus dem zweiten Buch Mose, Kapitel 22, Vers 17: «Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen.» Der Mercurius hatte ganze Arbeit geleistet. Treu-bis-in-den-Tod Hervey war ein gefeierter Held, die Hexe würde sterben, und schon hatte ein Verleger ein schaurig-schönes Pamphlet herausgegeben, das die Geschichte der Hexe Dorcas Scammell in aller Ausführlichkeit nacherzählte. Mütter drohten unartigen Kindern mit der Aussicht auf ein ähnlich elendes Schicksal.
Bereits einen Tag vor der Hinrichtung hatte sich, trotz heftiger Regenschauer, eine große Menschenmenge auf dem Tower Hill eingefunden, um bei den Vorbereitungen zuzuschauen. Viele kannten und schätzten diesen Ort, wo sie schon so manchen Edelmann durch das Schwert hatten sterben sehen, das Privileg dieses gnädigen, weil raschen Todes erwarb sich, wer dem Henker vorher eine gutgefüllte Börse zusteckte. Nach allgemeiner Auffassung war Tyburn der geeignetere Hinrichtungsort, weil es dort Zuschauerränge in ausreichender Anzahl gab, doch man hatte Verständnis für die Bedenken der Behörden, denen der lange Transport der Hexe zu heikel erschien, weil zu befürchten stand, dass sie auf dem langen Weg quer durch London gelyncht werden würde.
Zimmerleute kamen, um das Schafott zu errichten. Die Menge jubelte und rief dazu auf, die Plattform höher zu bauen. Als später das Seil über den Querbalken gelegt wurde, beschwerten sich viele und meinten, dass die Hexe verbrannt werden solle, wie es Brauch sei. Der Ärger aber legte sich, als einer der Arbeiter den Totentanz eines Gehängten aufführte und tosenden Beifall dafür erhielt.
Jemand fragte, ob das Urteil denn schon gesprochen sei, doch es schien, dass diejenigen, die für den Aufbau des Galgens verantwortlich waren, den Spruch von Sir John Henge schlicht vorweggenommen hatten. Gerüchte machten die Runde, aber Genaueres war nicht bekannt.
Das Wetter wurde besser. Schwaches Sonnenlicht fiel auf den Hügel, als der Henker kam, um das Gerüst zu begutachten. Er winkte seinem Publikum zu, scherzte und brachte die Menge zum Lachen, als er bei einer dickleibigen Frau, die sich durch vorlaute Bemerkungen hervortat, Maß zu nehmen versuchte.
Treu-bis-in-den-Tod Hervey verließ insgesamt dreimal den Gerichtssaal im Tower, um auf dem Hügel nach dem Rechten zu sehen. Bei seinem dritten Besuch war immer noch kein Urteil
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