Das Hexen-Amulett (German Edition)
wissen, wo sie sich aufhält.»
Lachend mühte er sich aus seinem Sessel, hielt mit der einen Hand die Hose und zog mit der anderen einen Schlüssel aus der Tasche, mit dem er eine große eiserne Truhe öffnete. Er entnahm ihr ein Schriftstück, das er vor Ebenezers Augen durch die Luft wedelte, und sagte: «Du weißt, was zu tun ist, mein lieber Junge.»
Ebenezer nahm das Papier mit spitzen Fingern entgegen, als fürchtete er, davon angesteckt zu werden. Es war die Heiratsurkunde von Samuel Scammell und Dorcas Slythe, unterschrieben von James Bollsbie, Vertreter der Heiligen Weihen. Ebenezer schaute zu Sir Grenville auf. «Seid Ihr sicher?»
«Das bin ich, mein Junge, sehr sicher. Ich bin sozusagen bis zur Halskrause mit Gewissheit angefüllt. Mach dich ans Werk!»
Ebenezer hielt das spröde, bräunliche Papier in die Flamme der ihm nächsten Kerze. Die Urkunde fing Feuer, wellte sich und verbrannte. Ebenezer ließ sie auf einen silbernen Teller fallen, wo die Flammen erloschen. Sir Grenville beugte sich kichernd vor und zerstampfte mit dem Zeigefinger die Asche zu Pulver.
«Deine Schwester wurde hiermit geschieden.» Er nahm wieder Platz.
«Werdet Ihr es ihr sagen?»
«Wo denkst du hin? Aber nein. Weder ihr noch ihm. Sie sollen bis ans Ende ihrer Tage glauben, verheiratet zu sein. Von der Scheidung wissen nur wir, du und ich. Nun denn …» Er zeigte mit dem geschwärzten Finger auf die Asche. «Deine Schwester ist nicht mehr mit Bruder Scammell verheiratet. Wer also wäre jetzt der Hüter des Siegels?»
Ebenezer schmunzelte, sagte aber nichts.
«Du, Ebenezer, du. Gratuliere, du bist gerade vermögend geworden.»
Ebenezer hob sein Glas und nippte daran. Er trank nur wenig, weil er es vorzog, nüchtern zu bleiben.
Sir Grenville verknetete mehrere Marzipanstücke und Mandeln zu einer Kugel. «Was verfügte dein Vater in seinem Testament? Falls deiner Schwester das Unglück widerfährt, vor ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag und kinderlos das Zeitliche zu segnen, ist das Vermögen aus dem Bund für die Verbreitung des Evangeliums zu verwenden. Wer eignete sich besser, diesem Zweck zu entsprechen, als wir? Findest du nicht auch, mein Junge?»
Ebenezer Slythe nickte lächelnd. «Was ist mit Scammell?»
«Was soll mit ihm sein? Sag’s mir.» Die Augen des Advokaten waren auf Ebenezer gerichtet, sie schienen noch weiter hervorzutreten.
Ebenezer legte die Fingerspitzen aufeinander. «Er ist Euch nicht länger von Nutzen, falls er das überhaupt je gewesen ist. Und als lästiger Zeuge einer Eheschließung, von der niemand etwas wissen soll, könnte er Euch Unannehmlichkeiten bereiten. Ich finde, für Bruder Scammell wird es Zeit, den Jordan zu überqueren.»
Sir Grenville lachte. «O ja. Lass ihn in der Ruhe seines Grabes auf die Wiederauferstehung warten.»
Eine große Eisscholle, gelb-grau schimmernd im letzten Tageslicht, trieb über den Fluss, eckte an andere Schollen an, verkeilte sich schließlich und bildete ein kleines Wehr, vor dem sich das dunkle Wasser schäumend brach. Aus der ärmlichen Ortschaft von Lambeth auf der anderen Seite des Flusses blinkten vereinzelte Lichter herüber. «Bruder Scammell muss also sterben. Aber durch wessen Hand?»
Die dunklen Augen verrieten keinerlei Regung. «Durch meine?»
«Damit würdest du mir einen Gefallen tun, mein Junge. Übrig wäre dann nur noch ein weiterer Zeuge dieser unglückseligen Heirat.»
Ebenezer zuckte mit den Achseln. «Goodwife Baggerlie wird kein Wort darüber verlieren.»
«Die meine ich auch nicht.»
«Ah.» Ein Lächeln huschte über Ebenezers Gesicht. «Unsere liebe Dorcas.»
«Unsere liebe Dorcas. Es käme uns sehr ungelegen, sollte sie ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag erleben.»
Ebenezer streckte unter seinem violetten Gewand die Beine aus, das eine lang und dünn, das andere verdreht und nach innen gebogen. «Es käme allerdings ebenfalls sehr ungelegen, sollte Euer oder mein Name mit ihrem Tod in Verbindung gebracht werden. Ihr sagtet doch, Lopez könne immer noch lästig werden, nicht wahr?»
«Ja. Und?»
Ebenezer lächelte wieder. «Wir haben noch nicht über die Belohnung des Priesters gesprochen.»
«Über Pastor Treu-bis-in-den-Tod Hervey? Will er mehr als seine zwanzig Pfund?»
«Vielleicht verdient er mehr. Schließlich hat er Scammell nichts von seiner Entdeckung gesagt. Eingeweiht hat er nur die Haushälterin, weil er sie brauchte, um möglichst schnell zu Euch zu kommen.»
«Was will er?»
«Ruhm und
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