Das Hexenbuch von Salem
getrockneten Kräutern, die über ihnen hingen, zu suchen, nahm das gewünschte Büschel ab und warf es ebenso ins Feuer. Es verbrannte mit rauchender, knisternder Flamme und erfüllte den Raum mit einem säuerlichen, beißenden Geruch, wie die Unterseite eines fauligen Scheits. Dabei murmelte sie einige unverständliche Worte. Eine Welle der Erregung schoss durch Mercy, so wie immer, wenn sie ihrer Mutter dabei zusah, wie sie ihre Arbeit verrichtete. Noch wusste sie nicht, welches Kraut ihre Mutter verwendet hatte, aber sie würde sie fragen, wenn Gevatterin Bartlett wieder weg war.
»Du hast die arme Martha Petford nicht gekannt, Mercy, oder?«, hub Sarah zu fragen an, doch Deliverance warf ihr einen warnenden Blick zu und schüttelte einmal den Kopf.
»Äh«, stammelte Sarah. »Na, die Medizin riecht aber wirklich übel, Livvy. Dann wird sie bestimmt wirken, oder?« Sie lachte schwach.
Deliverance zeigte ein etwas verkniffenes Lächeln und wickelte noch mehr der getrockneten Kräuter in das Tuch ein, mit dem Sarah die Blaubeeren abgedeckt hatte. »Vermahlt dies hier mit einem rohen Ei und etwas Wasser, und kocht es so lange über dem Feuer, bis ein Brei daraus wird. Dann legt das Tuch auf das Euter der Kuh, und ich denke, das Kalb wird endlich trinken.«
Sarahs rundes Gesicht war mit Erleichterung erfüllt, als sie das Päckchen von Deliverance entgegennahm und es in ihre Tasche steckte. »Genau«, sagte sie. »Ich wusste, dass Ihr eine Lösung finden würdet. Ich sagte zu Gevatter Bartlett, von all den weisen Menschen in unserer Gegend kennt sich Livvy Dane am besten mit der Medizin aus.« Wieder kicherte sie etwas verlegen und hörte schlagartig damit auf, als sie die Nervosität auf Deliverances Gesicht sah.
Sarah griff nach ihrem Hut und walzte in Richtung Tür. »Und seid gewiss, alle hier denken so. Ganz bestimmt.«
Sie hielt inne und legte dann, etwas unsicher, eine Hand auf Deliverances Schulter. »Schaut, Livvy, grämt Euch nicht. Niemand kann ernsthaft glauben, dass Ihr einem Kind etwas zu Leide tun könntet. All dieses böse Gerede, es wird sich bald wieder legen.« Sarah drückte Deliverances Schulter mit ihren großen, beruhigenden Fingern, nickte Mercy zu und ging in den Tag hinaus.
An ihrer Stelle tauchte kurze Zeit später Nathaniel Dane in der Tür auf, das leinerne Hemd durchgeschwitzt, Arme und Gesicht mit Erde und Holzsplittern beschmutzt. Er trug einen Stapel frischgespaltenes Holz auf den Armen und ging um den Tisch herum, um es neben der Feuerstelle abzuladen. Eine Welle der Unruhe ging durch Mercy, weil sie befürchtete, er könne ihrer Mutter verraten, dass sie sich vor der Arbeit gedrückt hatte. Ein Blick in ihr angespanntes Gesicht und die weißen Stellen zwischen ihren Fingerknöcheln sagte ihr, dass es einem ungezogenen Kind nicht gut ergehen würde. Rasch pulte sie noch ein paar Erbsen aus der Schote, wobei sie ein rechtes Gewese um ihren Fleiß und ihre Sorgfalt machte.
»War das Gevatterin Bartlett, die ich da die Allee herunterwatscheln sah?«, fragte Nathaniel seine Frau, ließ das Holz
mit lautem Klappern und allerlei Schmutz fallen und wischte sich die Hände am Hosenboden seiner Kniehose ab.
»Das war sie, ja«, sagte Deliverance. »Ach, Nathaniel.« Ihre Stimme stockte, und sie fuhr sich mit einem Zipfel ihrer Schürze an den Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken. Er legte die Arme um sie, und sie barg ihr Gesicht an seinem Hals. Ihre Schultern bebten. Er strich ihr mit einer schmutzigen Hand über die Rückseite ihrer Haube.
»Na, na, schschsch«, tröstete der Vater des Mädchens, und Mercy blickte zu ihren Eltern empor. Ihr fiel auf, dass sie ihre Eltern noch nie hatte weinen sehen.
SIEBEN
Marblehead, Massachusetts
Mitte Juni 1991
I hre Schultertasche traf mit einem dumpfen Aufprall auf den Boden, während Connie forschend zum ersten Stock von Grannas Haus hochblickte. Sie stand vor der Haustür, die späte Nachmittagssonne tastete sich durch kleine Zwischenräume in dem dichten Efeubewuchs vor den Fenstern und warf winzige Lichtflecke auf die breiten Dielen des Holzbodens. Das Haus hatte die Sommerhitze in sich aufgesogen, während Connie im Archiv war, hatte sie durch all die Schichten aus Holz und Gips und Pferdehaarisolierung sickern lassen, bis Wärme auch den letzten Winkel der Räume erfüllte. Besonders schwül schien es im Eingangsbereich neben der Wendeltreppe zu sein, wo die Hitze stand wie eine Wand. Eigentlich war die Schwelle des Hauses
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