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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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rufen, und die Axt hörte einen Moment lang auf zu schwingen. Das Mädchen schob enttäuscht die Unterlippe vor und wusste, dass es entdeckt war.
    »Mercy Dane, du kommst jetzt da runter«, sagte er, inzwischen näher am Baum. Das kleine Mädchen, Mercy, zog einen Moment lang eine Schnute, bis das sonnenverbrannte Gesicht ihres Vaters zwischen den Blättern direkt unter ihr sichtbar wurde. Mercy blickte besorgt nach unten, weil sie damit rechnete, dass er zornig sein würde. Aber das Gesicht lächelte, tiefe Falten bildeten sich auf beiden Seiten der Augen. Sie lächelte zurück. Er winkte sie zu sich herunter, und Mercy gehorchte, indem sie den Ast mit zwei Händen packte und sich mit aufwirbelnden Röcken und Schürze hinunterschwang und nicht allzu weit von dem gefallenen Apfel auf dem Boden aufkam.
    »Es müssen noch Erbsen gepult werden, und du verbummelst den Tag da oben auf dem Baum«, sagte er und schüttelte den Kopf, die Arme verschränkt. Sie ließ den Kopf hängen und sagte nichts. Die Hände hatte sie unter ihrer Schürze verborgen. »Was, wenn ich so eitel Müßiggang üben würde, und wir hätten kein Holz, um damit zu kochen? Was dann?«
    Sie hob die Schultern an und zog mit der Zehe einen kleinen Kreis im Staub.
    »Mercy?«, beharrte er.
    »Tut mir leid, Papa«, wisperte sie.
    »Na gut«, sagte er und legte ihr eine raue Hand auf die Schulter. »Dann mach dich an die Arbeit.« Er zeigte auf
den geflochtenen Binsenkorb, den sie vor Stunden am Fuß des Baumes zurückgelassen hatte, wandte sich wieder seinem Hackklotz zu und zog die Axt aus dem Holz. Schon einen Moment später war er wieder bei der Arbeit. Rums, Pfeif, Bums! Mercy nahm den Korb und machte sich auf den Weg in den Gemüsegarten hinter dem Haus.
    Es war ein warmer Tag, und ihr Kleid fühlte sich in den gleißenden Sonnenstrahlen schwer und heiß an. Eine Schote nach der anderen zupfte sie vom Erbsenstrauch, ließ sie in den Korb fallen, der am Boden stand, und summte dabei leise vor sich hin. Als sie am Ende der Reihe angelangt war, fiel ihr Blick auf einen gesprenkelten, lehmfarbenen Schwanz, der im Staub lag. Er gehörte zu einem kleinen Hund, der dösend im Schatten des Erbsenstrauchs lag. »Hallo, Hund.« Sie kniete sich nieder, um ihn zu streicheln, und er antwortete mit einem gewaltigen Gähnen und streckte sich wie eine Katze. Mercy kam der Gedanke, dass sie eigentlich gern mit dem Hund getauscht hätte; dann würde sie nackend im Schatten ein Nickerchen machen, während er in der heißen Küche stand und mit ihrer Mutter Erbsen pulte.
    »Meeercy!«, rief eine Frauenstimme aus dem Inneren des Hauses.
    »Im Garten, Livvy!«, antwortete ihr Vater vom Hackklotz. Mercy rappelte sich hoch, wischte sich mit dem Ärmel über die Nase, nahm den unförmigen Korb und lief zurück ins Haus.
    Sie schlängelte sich durch das Esszimmer und hievte den Korb auf den langen Arbeitstisch in der Mitte des Raumes. Schon den ganzen Morgen brannte das Herdfeuer in der großen Feuerstelle, und in dem Raum fühlte es sich deutlich heißer an als draußen, wo Sommer herrschte. Die drei Fenster standen offen, waren jedoch so klein, dass sie nur wenig Luft hereinließen. Mercy blinzelte in den rauchigen,
stickigen Dunst, der wie eine Wolke im Raum hing, und kletterte auf einen Stuhl, um mit dem Pulen zu beginnen.
    »Da bist du ja!«, sagte die leicht ärgerliche Stimme einer Frau an der Tür, und ihre Mutter betrat das Zimmer, wischte sich die Hände an der Schürze ab. Ihr gewöhnlich herzliches, offenes Gesicht war in den vergangenen Wochen viel schmaler geworden, aber Mercy wusste nicht, warum. Ihr Mund, der sonst so gerne lächelte, wirkte verkniffen, und es kam leichter vor, dass sie barsch wurde. Das war auch der Grund, warum sich Mercy mehr versteckte als früher, oben auf Bäumen und hinter Schränken oder in den Maisfeldern der Familie James, zusammen mit dem Hund.
    »Ich pule, Mama!«, sagte das kleine Mädchen rasch, ritzte mit dem Fingernagel eine der hellgrünen Schoten auf und ließ die knackigen frischen Erbsen zwischen ihren Fingern hindurch hinaushüpfen.
    Ihre Mutter sah ihr einen Moment lang dabei zu. »Ach, ja.« Sie seufzte und schenkte ihre Aufmerksamkeit dem Brotlaib, der in der bienenkorbförmigen Mulde inmitten der Herdziegel lag. Eine Weile arbeiteten sie schweigend, nur unterbrochen durch das Rums, Pfeif, Bums! von Nathaniel Dane draußen im Garten und das Auftauchen des Hundes an der Hintertür, der es sich unter dem Tisch

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