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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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starrte noch konzentrierter auf das Blatt, als könnte sie die Bedeutung dessen, was da mit geraden Gänsekielstrichen geschrieben stand, mit zusammengekniffenen Augen besser begreifen. Ein Rezeptbuch? War Deliverance
vielleicht Köchin gewesen? Hatte sie mit selbst gemachten Speisen Handel getrieben und sich dafür die Rezepte notiert? Connie schaute und grübelte, und die Frau in ihrer Vorstellung, die immer noch im Zimmer stand, stützte ungeduldig die Hände in die Hüften. Abgesehen von der mangelnden Rechtschreibung des Wortes »Buch« müsste doch eigentlich klar sein, was gemeint war. Und dann dämmerte es ihr langsam.
    Rezepte.
    Rezepturen.
    Im selben Moment fiel der Groschen, klar und deutlich, und jetzt wusste Connie, was für ein »Puch« das gewesen war und welche Rezepte oder Rezepturen es enthalten hatte. Sie schnappte erschrocken nach Luft, und ihr Kopf fuhr in genau dem Moment hoch, als die Archivarin das Licht ausknipste.

INTERLUDIUM
    SALEM TOWN, MASSACHUSETTS
MITTE JULI I682
     
    D er Baum ist heute aber ganz besonders bequem , dachte das Mädchen. Die Kleine lehnte sich gegen die Rinde und schmiegte sich noch fester in die Kuhle zwischen dem dicken Ast, auf dem sie saß, und dem knotigen Baumstamm, an den sie sich lehnte. Auf der einen Seite des Astes ließ sie die Beine herunterbaumeln und genoss das Gefühl, dass ihre Knöchel frei in der frischen Brise schwebten. Hier oben auf dem Baum war es kühler, und die Sommerluft fächelte sanft ihre Haut, hob einzelne Haarsträhnen von ihrer Stirn, kroch unter ihre Ärmel und die Haube. Sie kicherte leise, damit niemand es hörte.
    Mehrere Fuß unter ihr fiel der Boden schräg ab, und inmitten ihres schützenden Nests aus Blättern und Zweigen fühlte sie sich angenehm geborgen und sicher. Der hohe Aussichtspunkt schenkte ihr das köstliche Gefühl, andere beobachten zu können, ohne selbst gesehen zu werden. Und in der Tat konnte sie Gevatterin James in einem Strohhut erkennen, die sich in ihrem Garten am Ende der Allee bückte, und noch weiter dahinter, an der Straßenbiegung, Gevatter James, der mit seinem Muli in Richtung Kai unterwegs war. Gevatterin James richtete sich vom Unkrautjäten auf, presste die Hände an den Rücken, und das kleine Mädchen lächelte.
    Im Garten unter ihr war das rhythmische Pfeifen und
Rumsen zu hören, das ihr Vater beim Holzhacken machte. Rums, Pfeif, Bums! und dann der dumpfe Aufprall eines frischgespaltenen Scheites, der auf den wachsenden Haufen hinter ihm geworfen wurde. Rums, Pfeif, Bums! Sie wusste, dass sie durch die Blätter nicht von ihm gesehen werden konnte, und versuchte, sich möglichst still zu halten, um unentdeckt zu bleiben. Seit der Pfarrer in der Sonntagsschule diese Woche etwas über müßige Kinder gesagt hatte, behielten die Leute in der Stadt ihre Sprösslinge besser im Auge. Die Kleine schlug mit dem Hinterkopf trotzig gegen den Baumstamm und rümpfte die Nase.
    In ihrem Magen gurgelte es, und sie drückte rasch die Hände auf ihren Bauch, damit man es nicht hörte. Eine Haarsträhne um einen ihrer Finger wickelnd, lugte sie durch die Äste auf Augenhöhe und dachte an etwas Essbares. Obwohl die Blüten des Baumes schon vor Wochen abgefallen waren, waren die Äpfelchen immer noch kaum mehr als winzige Knospen. Sie zog einen der Zweige, die dicht mit den kleinen Kugeln besetzt waren, zu sich heran und schloss die Hände darum. Schon jetzt sprachen einige der Freundinnen ihrer Mutter wohlwollend über ihre Art und Weise, mit Pflanzen umzugehen, und die Kleine dachte beschämt an diese Lobesworte, während sie den Blick auf die winzigen Apfelknötchen senkte, die sich am Ast bildeten. Es ist eine Sünde, so stolz zu sein, schalt sie sich. Doch dann knurrte ihr Magen wieder, und sie blickte angestrengt auf die Blütenbüschel, während sie spürte, wie der Wille ihr durch die Finger rann und im Baumast versickerte. Unter ihren Augen schien sich jetzt die größte der Knospen zu regen und nach allen Seiten auszudehnen, wie eine Blase am Finger. Dann drohte sie fast aus der Schale zu platzen, wurde langsam dunkler, von Blassgrün bis zu einem gelblichen Rot. Größer und größer wurde der Apfel in ihren Händen, bis er so groß war wie ihre Faust,
dann wie zwei ihrer Fäuste zusammen, und plötzlich hatte er sich von seinem Stängel gelöst und fiel in einem Schwindel erregenden Moment nach unten, nur um auf dem Boden zu einer fleischigen Masse zu zerplatzen.
    »Mercy!«, hörte sie ihren Vater

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