Das Hexenbuch von Salem
ausziehbare Telefonschnur um einen ihrer Daumen herum. Der Finger lief rot an, und sie befreite ihn. »Ich habe angefangen, ein paar Sachen zu verändern, denke ich.«
»Ein Telefon legen zu lassen war schon mal eine ausgezeichnete Idee«, sagte ihre Mutter, und ihre Stimme vermischte sich mit dem Klang eines Holzlöffels, der rasch durch feuchten Teig gezogen wurde.
»Mom! Woher wusstest du das?« Connie lachte.
»Woher sonst solltest du zur Abendessenszeit anrufen? Mutter hatte eins, weißt du. Hat es dann irgendwann in den Sechzigern wieder abgemeldet. Zu viel Ärger, sagte sie. Mich hat das vor Sorge immer krank gemacht, dass vielleicht irgendwas passiert und sie niemanden erreichen kann. Aber natürlich war sie nicht davon abzubringen.«
»Sie muss schon sehr eigen gewesen sein«, meinte Connie.
»Oh, du hast wirklich keine Vorstellung «, sagte Grace, und einen Augenblick lang hörte Connie in ihrer Stimme ein Echo aus der Jugendzeit ihrer Mutter. »Wie lange dauert es denn noch, bis das Haus zum Verkauf bereit ist?«
»Ah.« Connie stockte. Sie hatte so viel Zeit auf ihre Nachforschungen
verwendet, dass sie mit dem Haus noch gar nicht richtig begonnen hatte. Doch wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, hatte ihre Weigerung weiterzumachen, noch andere Gründe. Ihr Blick wanderte an der toten Pflanze in ihrem zerbrochenen Topf aus chinesischem Exportporzellan vorbei und blieb in dem schummrigen Wohnzimmer mit seinen Sesseln hängen. In der vergangenen Woche hatte sie deren bestickte Polster mit einem milden Wollwaschmittel geschrubbt, und jetzt schimmerten sie in einem warmen Rotbraun, gemütlich und sauber. Nach dem Essen hatte Connie sich vorgenommen, ein kleines Feuer im Kamin zu machen und dort zu lesen, bis der Schlaf sie überkam. Irgendwie hatte sie das seltsame Gefühl, das Zimmer beschützen zu müssen, als wollte sie es nicht stören. »Dauert noch eine Weile.«
» Connie «, begann ihre Mutter erneut, und ihre Stimme klang wieder wie die einer Siebenundvierzigjährigen.
»Es ist wirklich ein Saustall hier, Mom. Es wird länger dauern, als ich gedacht habe«, beharrte Connie.
Grace seufzte. »Mhhm. Also erzähl mal. Wenn du nicht am Haus gearbeitet hast, wie ausgemacht, was hast du dann getan? Wie steht es denn mit den Kopfschmerzen, von denen du gesprochen hast?« Connie hörte, wie am anderen Ende der Leitung ein Löffel beiseitegelegt und Teig auf einem Holzbrett ausgerollt wurde. Es piepste, als Grace versehentlich beim Einklemmen des Hörers auf einen Knopf kam.
»Ist besser geworden«, sagte Connie. Während ihre Tagträume so intensiv waren wie zuvor, hatte sie die Kopfschmerzen in letzter Zeit zumindest nicht mehr so wahrgenommen. Es war eine allmähliche Veränderung gewesen, fast unmerklich, aber es stimmte.
»Siehst du? Du brauchst keinen Doktor«, warf Grace ein.
»Ja«, sagte Connie wegwerfend. »Und im Übrigen habe
ich Nachforschungen für meine Doktorarbeit angestellt.« Sie versuchte, ihrer Stimme einen Hauch von Autorität zu verleihen.
»Ach ja?«, fragte Grace und schien auf der Stelle das Interesse zu verlieren.
»Erinnerst du dich noch an den Namen, nach dem ich dich gefragt habe?«, erwiderte Connie. »Ich habe ein bisschen recherchiert und bin dadurch, glaube ich, auf eine mögliche Primärquelle für meine Dissertation gestoßen.«
»Eine Primärquelle? Was für eine Primärquelle?«, fragte Grace. In ihrer Stimme schwang ein Hauch von Misstrauen mit, doch Connie schob den Gedanken rasch von sich.
»Es sieht so aus, als hätte Deliverance Dane tatsächlich eine Art Anleitungsbuch für Hexerei besessen! Ist das nicht unglaublich?«
»Unglaublich!«, kam das Echo von Grace. Ihre Stimme war ganz flach.
»Und das spricht gegen alles, was die Historiker bislang immer über die Beziehung von Frauen und Volkszauber während der Kolonialzeit gesagt haben!«, rief Connie mit erhobener Stimme.
»Du hattest Recht«, sagte ihre Mutter über das Schmatzen des gekneteten Teiges hinweg. »Ich musste wirklich noch ein bisschen Butterschmalz dazutun.«
» Mom «, sagte Connie.
»Ich hör dir zu«, versicherte ihr Grace.
»Jetzt muss ich nur noch dieses Buch finden. Bislang scheinen die Nachlassverzeichnisse ziemlich vollständig zu sein, ich muss also nur über die Generationen der Erben hinweg die Spur des Buches verfolgen. Vorausgesetzt, dass auch spätere Generationen das Buch für bedeutend genug hielten, um es in einem Nachlass oder Testament zu erwähnen. Doch
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