Das Hexenbuch von Salem
Hexen findet «, hatte Chilton gesagt. »Das Malleus Maleficarum aus Deutschland, fünfzehntes Jahrhundert, sogar Cotton Mathers Abhandlung aus dem Jahre I692 mit dem Titel Wunder der unsichtbaren Welt. «
»Richtig«, pflichtete ihm Connie bei. »Aber bislang deuten alle meine Nachforschungen darauf hin, dass es keine erhaltenen nordamerikanischen Beispiele für ein Buch oder eine Anleitung zur Ausübung von Hexerei gegeben hätte. Gewöhnlich interpretieren wir das so, dass es bedeutet, niemand habe Hexerei tatsächlich praktiziert, richtig? Wenn nun jedoch Deliverances Buch das ist, wofür ich es halte, und wenn es noch existiert, dann könnte es ein erstaunlicher Fund sein. Sein Inhalt würde unsere Sichtweise verändern, sei es auf die Entwicklung der Medizin, auf die Hebammenkunst, auf die Wissenschaft …« Connies Stimme verlor sich.
»Ganz zu schweigen von einer veränderten Sichtweise des Hexenwahns von Salem. Es gibt aber noch jede Menge Wenns und Abers in dieser Frage«, sagte Chilton. »Doch sie ist einfach zu reizvoll, um ihr nicht nachzugehen.«
Zwei Teller mit warmem Brotpudding erschienen auf ihrem Tisch, und während Chilton kaute, musterte er Connie nachdenklich. »Sagen Sie mir, mein Mädchen«, begann er. »Sie hatten doch vor, am diesjährigen Treffen der Colonial Association teilzunehmen, oder?«
Connie nickte. »Ich denke schon. Ich sitze zwar auf keinem Podium, aber ich wollte einfach so hin und mir die Vorträge anhören.« Sie stach mit der Gabel in die weiche Masse des Nachtischs und pulte eine goldfarbene Rosine heraus.
»Immer eine gute Idee«, sagte Chilton, »sich an der derzeitigen Feldforschung zu erden.« Er hielt inne, schien etwas abzuwägen, bevor er fortfuhr. »Wissen Sie, ich halte dieses Jahr die Grundsatzrede«, sagte er leichthin.
»Wirklich?«, fragte sie überrascht.
»O ja. Eigentlich nur eine allgemeine Abhandlung der Entwicklung meiner Forschungen über die Geschichte des alchemistischen Denkens. Werde einige aufregende neue Erkenntnisse präsentieren.« Er unterbrach sich und begegnete Connies Blick, als sie aufschaute. »Vielleicht werde ich Sie dort vorstellen«, schloss er und legte seine Gabel mit Nachdruck auf dem Tisch ab.
»Aber wieso?«, fragte sie verblüfft.
Chilton kicherte. »Das können wir ein anderes Mal noch im Detail besprechen. Jetzt erst mal eins nach dem anderen, mein Mädchen. Ihre einzige Sorge an diesem Punkt sollte sein, das Buch zu finden und zu schauen, ob es wirklich das ist, was Sie vermuten. Ich verlasse mich darauf, dass Sie mich mit Ihren Fortschritten auf dem Laufenden halten.« Während er das sagte, hatte Chilton seine Hände wieder zu einem Dach zusammengelegt, wie er das immer tat, wenn er in Gedanken war.
Als sie an diesem Nachmittag den Club der Historischen Fakultät verließ, brummte Connie der Kopf vor Aufregung, weil sie hin- und hergerissen war zwischen ihrer Freude über Chiltons Zustimmung und der Frage, wie sie die nächste Stufe ihrer Nachforschungen angehen solle. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie mit Thomas zusammenstieß.
»Autsch! Connie «, jammerte Thomas und rieb sich die Zehe, auf die sie getreten war. Sie lachte.
»Tut mir leid, Thomas!«, rief sie und hielt sich an seinem knochigen Ellbogen fest, um nicht umzukippen. »Ich komme gerade von einem Treffen mit meinem Doktorvater,
Professor Chilton. Wahrscheinlich war ich zu sehr in Gedanken versunken.«
»Ich kann es einfach nicht glauben, dass du mich nie angerufen hast«, sagte Thomas schmollend. »Wie soll ich denn meine Bewerbungen für die Graduate School hinkriegen, wenn du mir nicht hilfst? Ich habe schon damit angefangen, mein persönliches Statement abzufassen, und es ist eine absolute Katastrophe.«
Sie seufzte. »Ach, Thomas. Du willst gar nicht in den Doktorandenstudiengang, stimmt’s? Du willst bloß deinen ersten Abschluss machen und dir einen netten Job bei der Bank suchen, stimmt’s?«
Thomas blickte sie finster an. »Das hat meine Mutter auch gesagt. Jetzt klingst du auch noch wie sie.«
»Tut mir leid. Vermutlich werde ich einfach alt. Jedenfalls kann ich dich gar nicht anrufen. In Grannas Haus gibt es kein Telefon.«
»Da gibt es kein Telefon ?«, wiederholte Thomas ungläubig.
»Und keine Elektrizität«, bestätigte sie. »Was soll ich sagen? Ich genieße diesen Sommer eben das Landleben. Und die Leute werden mit Sicherheit Schlange stehen, um ein Haus mit diesen ökologisch vernünftigen, leider aber auch
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