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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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noch ein weiteres Wort fiel, öfter als alle anderen, das Wort, das sie fürchtete: Hexe.
    »Was ist das für eine heilende Tätigkeit, von der Ihr spracht?«, fragte der Anwalt, verschränkte die Arme und starrte Mercy finster an. Sie schaute sich besorgt um, richtete
den Blick wieder auf die freundlichen Augen des Porträts.
    »Ich kenne mich mit Pflanzen und Kräutern aus, kann Tinkturen für Kranke herstellen, oder für Frauen im Kindbett. Ich spüre nach, was ihnen wirklich fehlt, gebe ihnen Ratschläge und versuche, ihre Beschwerden zu lindern, so gut es geht. Für all diese Arbeiten erhalte ich im Tausch Waren oder manchmal etwas Geld.«
    »Was?«, rief da der Anwalt und brachte sein Gesicht so nah an ihres, dass sie kurz vor ihm zurückwich. »So seid Ihr also eine weise Frau ?« Der Vorwurf schwappte über ihr Gesicht hinweg, und sie erkannte, wie sinnlos es war, diesem Mann zu erklären, was sie tat, ihm mit seinen Silberknöpfen und – jetzt wusste sie, wonach sein Atem roch – seinem Hang zum Schnupftabak.
    »Ich ziehe es vor, meinem Gewerbe keinen Namen zu geben«, sagte Mercy und wappnete sich gegen die Übelkeit, die in ihrem Bauch rumorte. Unter all den vielen Schichten Wolle und Leinen spürte sie, wie sich eine klamme Schicht Schweiß in ihren Achselhöhlen sammelte. Die Luft in ihren Lungen wurde schaler.
    »Wäre denn einem Kranken nicht besser gedient, wenn er einen Arzt aufsuchte? Einen, der wirklich mit den Bewegungen der Körpersäfte und den Vorgängen der Physis vertraut ist?«, fragte der Anwalt und richtete seine Frage an die Gruppe der Geschworenen. Einer von ihnen trug ein zufriedenes Grinsen zur Schau und hatte den gestiefelten Fuß auf die polierte Holzbrüstung des Abteils gelegt. Gewiss ein Doktor, dachte Mercy. Ausgebildet in Cambridge, am Kolleg. Als stünde alles, was wir wissen müssen, in einem Buch!
    »Sicher gibt es Menschen, die dies bevorzugen«, gab sie zu.
    »Bevorzugen!«, bellte der Anwalt, und der Richter lächelte.
»Ihr seid ein Scharlatan, Weib!« Jetzt brach auf den Rängen Tumult aus, es wurde gerufen und kommentiert, während Saltonstall mit einem langen Finger, die Spitze seiner Manschette wie ein bebender Wimpel, auf sie zeigte, und Mercy spürte, dass sie mit ihrer Geduld langsam am Ende war.
    »Ob ich ein Scharlatan bin oder nicht, tut hier nichts zur Sache!«, rechtfertigte sich Mercy, und ihre Stimme wurde kräftiger. »Ich verlange von diesem Gericht, dass es den Namen von Deliverance Dane reinwäscht, um ihres Gedenkens willen ebenso wie meinetwegen und wegen meiner kleinen Tochter. So wie das Gericht auch mit all den anderen unglücklichen Seelen verfuhr, die vom eigens im Jahre I692 in Salem eingerichteten Anhörungsgericht zum Tode verurteilt wurden, nach all den verleumderischen Beweisen und bösen Lügen, die Richter Sewall dort selbst verbreitet hatte!«
    Während sie sprach, hieb sie mit der Faust auf die Schranke vor ihr, die Kraft ihres Willens ballte sich in ihrem Bauch und fuhr ihr knisternd in den schlagenden Arm, ihre Augen verblassten zu Eis, und die Wucht ihres Schlages verursachte einen tiefen Spalt in dem hölzernen Geländer und hätte es fast entzweigerissen. Die Zuschauermenge hielt erschrocken den Atem an und wurde stumm.
    Unbeeindruckt schlenderte Richard Saltonstall zu Mercy Lamson hinüber. Ihre Knöchel waren weiß vor Wut, ihre Nasenflügel bebten.
    »Wie wahr, dass jenes Anhörungsgericht in seiner Hast, unsere heimgesuchte Gemeinschaft vom teuflischen Einfluss zu befreien, vielleicht allzu schnell den Aussagen von Gespenstern und besessenen kleinen Mädchen Glauben schenkte«, sagte er und schüttelte bekümmert den Kopf.
    »Und wie wahr auch, dass jene unglücklichen Seelen, die allesamt in die Obhut des allmächtigen und barmherzigen
Gottes heimkehrten, von ebendiesem Gericht hier ihren guten Namen zurückerhielten, und jenen Platz im Leben, der ihnen zusteht zum Wohle und zum Besseren ihrer lebenden Nachkommen.« Er schlenderte zu den Geschworenen zurück, wo zwölf Augenpaare wie gebannt auf Mercys bebender Gestalt ruhten.
    »Wie wahr auch, dass Eure Lebensumstände infolge der Verurteilung Eurer Mutter bitter und unerträglich wurden. Und doch …« Saltonstall hielt inne und richtete den Blick auf die Zuschauerränge. Alles wartete atemlos. »Und dennoch ist auch eines wahr, Mrs. Lamson«, sagte er noch einmal, und Mercy blickte zu dem Porträt mit den warmen, rosigen Wangen und den üppigen Locken empor, die doch auch

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