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Das Hexenbuch von Salem

Das Hexenbuch von Salem

Titel: Das Hexenbuch von Salem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Howe
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Holztür auf, drehte sich dann um und hielt Connie die Hand hin. Sie zögerte einen Moment und ergriff sie dann. »Pass auf die Türpfosten auf«, sagte er und zog sie hinaus in den Abendhimmel. Connie hielt die Luft an.
    Sie standen hinter einem schmächtigen Messinggeländer, das sich rund um den Glockenturm des Bethauses schlängelte, und jetzt sah Connie unter ihnen die Lichter der Stadt Salem, die nach Einbruch der Dunkelheit zu funkeln begannen. Aus dieser Höhe konnten sie über die dicht gedrängten Ziegelbauten, Baumwipfel und Ladenfronten hinweg bis zu dem Kai schauen, wo sie gerade eben noch gesessen hatten, bis zum Hafen und dahinter zu der kleinen Halbinsel Marblehead. Über ihnen wechselte der Himmel gerade von einem zarten Rosa zu einem satten Orangerot und breitete seine farbigen Finger über der sich kräuselnden Oberfläche des Wassers aus.
    »Oh«, hauchte sie, und ihrer Augen wurden groß, als sie
die Stadt sah, die sich zu ihren Füßen erstreckte. Sam legte eine Hand auf die ihre, die auf dem Geländer lag, und seine Haut fühlte sich warm und trocken auf ihren Knöcheln an. Mit der anderen Hand fuhr er zärtlich über ihren Kiefer und schmiegte sie an die Stelle zwischen Hals und Ohr. Als sie sich zu ihm drehte, um eine Frage zu stellen, begegneten ihre Lippen sich zu einem Kuss, der so lange dauerte, bis der orangerote Vorhang der untergehenden Sonne sich vollkommen verzogen hatte und über ihnen die Sterne glitzerten.

INTERLUDIUM
    STADT SALEM, MASSACHUSETTS
ENDE OKTOBER I7I5
     
    D ie fadenscheinige Stelle war schon seit mindestens zwei Wintern da, aber natürlich musste der Umhang ausgerechnet heute einreißen. Dabei hatte sie nicht einmal Nähzeug dabei, um sich die Zeit zu vertreiben. Mercy Lamson runzelte die Stirn, als sie das peinliche Loch mit dem Daumen durchstieß, und spürte die raue Wolle an ihrer Haut. Die Versuchung war groß, so lange an dem Loch herumzuspielen, bis es größer und größer wurde, und an dem zerschlissenen Umhang den Ärger auszulassen, den sie empfand. Doch dann überlegte sie es sich anders. Ein neuer Umhang wäre zu teuer, sagte sie sich stirnrunzelnd. Sie ließ den Blick über die Städter schweifen, die auf den Bänken um sie herum saßen, und rechnete fast damit, dass sie ihre aufgeflammte üble Laune bemerkt hatten. Aber selbst wenn, ließen sie es sich nicht anmerken. Einzelne Frauen zogen Nadeln mit Krüwell-Garn durch Stoffstücke. Männer murmelten. Hinter ihr war ein Mann, den sie nicht kannte, eingeschlafen, sein Kopf war hinten auf die harte Lehne der Bank gekippt, der Mund stand offen, doch Schnarchen war nicht zu hören. Sie seufzte und ließ sich wieder in ihren Sitz sinken, indem sie die zerfaserten Ränder des Loches glatt strich, damit es wieder ordentlich aussah. Später ist Zeit genug zum Stopfen, dachte sie.

    Mercy blickte prüfend in dem Raum umher, in dem sie die vergangenen Stunden verbracht hatte, wanderte mit ihren blassen Augen über jeden Zoll der Holzvertäfelung hinweg, in dem halbherzigen Bemühen, ihren Geist beschäftigt zu halten. Viele Jahre waren ins Land gegangen, seit sie nicht mehr in Salem wohnte, und ihre Verwirrung war groß gewesen, als sie erfuhr, dass der Fall im neuen Rathaus verhandelt würde anstelle des alten Bethauses oder des richterlichen Sprechzimmers. Es stand mitten auf der Allmende, wie ein richtiges englisches Gerichtshaus, oder so hatte sie es zumindest gehört. Zwei Stockwerke, gute neue Backsteine, und nicht weit von den Kais entfernt. Doch in England hätte es im Gericht bestimmt nicht so poliert und neu gerochen, vermutete sie. Über England hatte Mercy nie viel nachgedacht. Nicht, bis sie Jedediah geheiratet hatte.
    Der Raum, in dem sie saß, umgeben von weiteren Antragstellern, die sich verlegen auf den Banken wanden, strahlte eine gebieterische Pracht aus, wie sie in Mercys Jugend noch unbekannt gewesen war. Im vorderen Teil stand erhöht eine Bank, mit Schweifwerk geschmückt und auf beiden Seiten von schweren Holzabteilen flankiert, in denen die Geschworenen saßen. Unterhalb der Bank standen zwei reich geschnitzte Tische für die Anwälte und den Gerichtsschreiber, und dazwischen, in freier Sicht von der Geschworenenbank und den Zuschauern aus, ein leerer Platz vor der Schranke des hohen Gerichts. Schon vier Mal an diesem Morgen hatte sie zugesehen, wie arme Seelen dort ganz allein Aufstellung nehmen mussten, wo der ganze Raum sie mustern konnte wie unter einem dicken Vergrößerungsglas.

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