Das Hexenkloster
sicher, dass er treffen würde, und er hatte sie vor dem abermaligen Verpacken noch gut eingeölt. Dass das Gewehr ein zusätzliches Zielfernrohr besaß, gefiel ihm auch, und das ließ er auch aufgeschraubt.
Er schloss den Schrank wieder ab, ging in die gemütliche Küche und setzte sich dort an den Tisch. Er zog das Gewehr aus dem Futteral, und als er es betrachtete, spürte er wieder den Druck im Magen und das Würgen in der Kehle.
Es lag nicht an der Waffe. Der Gedanke an seine Frau trieb dieses Gefühl in ihm hoch. Mit Mühe schaffte er es, die Tränen zu unterdrücken, denn seine Gedanken drehten sich darum, was wohl mit seiner Frau passiert war. Darüber nachdenken wollte er nicht, aber die Gedanken stiegen eben automatisch in ihm hoch.
»Wo immer du bist«, flüsterte er mit dem Gewehr in den Händen, als wäre es ein Partner, »ich werde dich finden. Darauf kannst du dich verlassen. Nichts anderes gibt es für mich.«
Nach diesen Worten holte er tief Luft. Er wischte sich über die Augen, weil er das Brennen loswerden wollte. Er musste schlucken und spürte, dass ihm das Blut in den Kopf stieg.
Er riss sich zusammen. Er wollte nicht sofort losfahren, sondern mit der Dämmerung am Ziel eintreffen. Für ihn gab es nur das eine – das Kloster.
Noch einmal checkte er die Waffe durch. Sie hatte keinen Rost angesetzt. Wenn er sich wehren musste, würde dies glatt über die Bühne laufen. Nachdem er damit fertig war, stand er auf, hängte das Gewehr am Riemen über die rechte Schulter und schritt unruhig durch das Haus.
Besuch hatte er keinen bekommen. Auch das Telefon hatte sich nicht gemeldet. So war ihm wieder klar geworden, wie einsam er doch in dieser Gegend lebte.
Der Blick nach draußen.
Es würde bald dämmern. Laut Wettervorhersage würde es einen ungemütlichen Abend geben mit Schnee, Wind und der entsprechenden Kälte.
Das machte Ike nichts. Er wäre auch gegangen, wenn es tote Spinnen geregnet hätte.
Bevor er das Haus verließ, streifte er noch seine Winterjacke aus einem Material über, das Feuchtigkeit abhielt und von innen mit Daunenfedern gefüttert war. Darin fühlte er sich wohl, auch wenn er sich eine bessere Bewegungsfreiheit gewünscht hätte, aber das war jetzt nicht mehr zu ändern.
Er schloss die Tür ab. Dabei durchzuckte ihn der Gedanke, dass dies auch für immer sein konnte. Die Mission, die er sich vorgenommen hatte, war nicht eben ungefährlich.
Es gab trotzdem kein Zurück für ihn. Mit langen Schritten ging er zu seinem Pick-up. Für das Gelände hier war er das ideale Fahrzeug. Auf der kurzen Strecke spürte er bereits den Wind, der umgeschlagen hatte. Er wehte jetzt aus nördlicher Richtung. Da lag die gefühlte Temperatur auf der Haut niedriger als die wirkliche.
Er stieg ein.
Das Gewehr deponierte er auf dem Beifahrersitz. Der Zündschlüssel verschwand in der Öffnung. Eine leichte Drehung genügte. Der Motor tat seine Pflicht.
Ike Turner fuhr los. Sein Gesicht wirkte wie geschnitzt. Er konnte nur daran denken, dass er seine Frau befreien musste. Dafür hätte er alles gegeben, wirklich alles...
***
Kelly Turner hätte sich nie im Leben vorstellen können, derartige Qualen zu erleiden.
Dabei wurde sie nicht gefoltert. Man ging nicht zu ihr, um sie mit irgendwelchen scheußlichen Werkzeugen zu einem Geständnis zu zwingen. Wenn jemand kam, dann spielte sich diese Person als Wohltäterin auf, denn sie bekam zu trinken und auch etwas zu essen.
Einmal wurde sie sogar losgeschnallt, damit sie sich bewegen konnte. Das war für Kelly so etwas wie ein Wendepunkt in ihrer Denke. Sie war davon ausgegangen, dass sie unten im Keller steckte, um irgendwann getötet zu werden.
Dies traf nicht zu. Man wollte sie nicht töten. Man wollte sie nur unter Kontrolle halten, weil man etwas mit ihr vorhatte, aber sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was es war. Dazu reichte die Fantasie nicht.
Schlimm war für sie die Dunkelheit, auch wenn entfernt einige Kerzen ihr Licht abgaben. Es reichte kaum bis zu ihr hin. Man hätte sie auch nicht an einen Pfahl zu fesseln brauchen. Aus diesem unterirdischen Gewölbe würde sie kaum ohne Hilfe fliehen können. Ihr war alles fremd. Immer wieder quälte sie sich mit dem Gedanken ab, weshalb sie hier unten steckte und was man mit ihr vorhatte.
Zeit – was war Zeit?
Kelly hatte den Begriff bereits vergessen. Sie wusste nicht, wie viel davon bereits abgelaufen war. Sekunden und Minuten waren für sie fremde Begriffe geworden.
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