Das Hexenkreuz
Beatrice sah ihr starr entgegen. Sie saß
kerzengerade auf einem heidnischen goldenen Thron, dessen Lehne hoch hinter
ihrem Rücken aufragte und in beidseitig geschwungenen Hörnern endete. Ein
goldenes Gewand umfloss ihren Körper und ließ nur ihre Fußspitzen sehen, die in
filigranen Sandaletten steckten. Auf ihrem blonden Haar balancierte sie einen hoch
aufragenden Kopfputz, der aus purem Gold gefertigt schien. Die hinter ihr brennenden
Kerzen spiegelten sich darin und ließen ihr Haupt wie eine brennende Sonne
wirken. Emilia blieb keine Zeit darüber nachzugrübeln, welchem heidnischen Kult
hier gefrönt wurde, sie hatte die unterste Stufe des Podests erreicht. Sie
blieb ruhig stehen, als böte sie Beatrice ihren Körper dar. Dann hob sie
langsam ihren rechten Arm. Die silberne Klinge, die ihr Filomena zugesteckt
hatte, blitzte in ihrer Hand auf. Durch die Reihen der Anwesenden lief ein
kollektives Stöhnen und jemand musste Anstalten gemacht haben, sich auf Emilia
zu stürzen. Doch Beatrice hielt diesen mit einer gebieterischen Geste zurück.
Sie glaubte Emilias Absicht erkannt zu haben. Auffordernd nickte sie der jungen
Frau zu.
Emilia
schritt die Stufen zu ihr hinauf und sank vor ihr auf die Knie. Dann streckte
sie ihre linke Hand aus und fuhr ohne zu Zögern mit der scharfen Klinge über
ihren Unterarm. Sofort quollen dunkle Blutstropfen daraus hervor. Emilia
streckte ihren blutenden Arm Beatrice entgegen. Mit klarer Stimme verkündete
sie: „Ich bin hier, um Euch mein Blut zu schenken, Herrin. Von nun an gehören
mein Leib und meine Seele Euch.“ Gebannt hatte die Menge hinter ihr das Geschehen
verfolgt. Ein zustimmendes Raunen erfüllte nun die Krypta und hallte dumpf von
den Wänden wieder.
Majestätisch
erhob sich Beatrice von ihrem Thron. Sie trat einen Schritt auf Emilia zu und
hob sie aus ihrer knieenden Haltung empor. Angesicht in Angesicht standen sie
sich gegenüber und maßen sich in einem intensiven Blickduell. Schließlich
zischte Beatrice so leise, dass nur Emilia es hören konnte: „Wenn Ihr
wahrhaftig seid, Schwiegertochter, dann werdet Ihr leben. Wenn Ihr mir aber nur
Theater vorspielt, so wisst, dass ich Euch nach der Geburt Eures Sohnes mit
eigener Hand töten werde.“ Dann wandte sie sich gemessen ihrem Publikum zu und
verkündete: „Seht her, dies ist…“ Abrupt brach sie ihren Satz ab. Ihr Gesicht
verzerrte sich zu einer grotesken Maske der Wut, als sie begriff, wie
raffiniert sie soeben von Emilia getäuscht worden war. Sie schrie: „Wo ist der
Gefangene?“
Mit einer blitzschnellen
Bewegung ergriff sie das Messer, das Emilia zuvor auf die Stufen hatte fallen
lassen. Wutentbrannt stürzte sie sich damit auf ihre Schwiegertochter, doch in
letzter Sekunde fiel ihr jemand in den Arm: „Nein“, rief eine herrische Stimme,
in der Emilia unschwer jene des Herzogs erkannte. „Wir brauchen sie noch, vergesst
das nicht, Mutter.“
Die
Versammlung hatte dem gesamten Schauspiel bisher regungslos beigewohnt. „Worauf
wartet Ihr?“, schrie der Herzog. „Auf, hinterher! Allzu weit kann der Mann
nicht gekommen sein.“ Er selbst spurtete los, mitten durch die sich öffnenden
Reihen hindurch.
Sein Handeln
löste die Anwesenden aus ihrer Erstarrung und jedermann drängte ihm nun nach.
Der Herzog stieß das erste Portal auf, das in den runden Vorraum führte.
„Wachen!“, brüllte er. Niemand erschien. Rasch durchschritt er den Raum und
riss das zweite Portal auf. Alle vier Nubier lagen auf dem Boden. Der Herzog
befahl dem größeren Teil der Anwesenden auszuschwärmen und oben die Wachen zu
informieren, dass sich der Gefangene auf der Flucht befand.
Misstrauisch
kniete der Herzog dann neben einem der Besinnungslosen nieder: „Diese Männer
wurden betäubt.“
Seine
Mutter, die ihm gefolgt war, näherte ihr Gesicht dem Bewusstlosen und schnupperte
an dessen Mund: „Du hast Recht. Das Mittel stammt aus meinen eigenen Vorräten.
Derjenige, der die Explosion verursacht hat, muss es zuvor aus meinem
Laboratorium entwendet haben. Wir haben einen Verräter unter uns!“, stellte sie
grimmig fest.
Sie erhob
sich und ließ ihren scharfen Blick über die wenigen, verbliebenen Gestalten
schweifen, die sie in engem Kreis umstanden. Beatrice runzelte die Stirn.
„Zeigt Euch und nehmt die Kapuzen ab“, befahl sie. Vertraute Gesichter, meist
Frauen oder ältere Männer kamen zum Vorschein. Beatrice sah sich in dem Gang um
und entdeckte Emilia nicht weit von sich. Sie hatte ihre Blöße
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