Das Hexenkreuz
Gedanken, was ihr in dieser Nacht noch bevor
stand.
„Kannst du
mir nicht helfen, ebenfalls zu fliehen?“, rief sie spontan und klammerte sich
an Filomenas Arm.
„Selbstverständlich
werde ich dir helfen zu fliehen. Aber heute Nacht wäre dies ein Ding der
Unmöglichkeit. Nicht einmal eine Maus könnte heute ungesehen aus dem Palazzo
entkommen. Der Hof, die Gebäude, alles ist hell erleuchtet und ausnahmslos
jedermann wurde in Alarmbereitschaft versetzt. Wir werden uns eine Weile
gedulden müssen, bis sich der Aufruhr wieder gelegt hat. Erst dann werden wir
beide einen erneuten Fluchtversuch in Angriff nehmen können.“
Emilia
verzog das Gesicht. „Was genau verstehst du unter einer Weile?“
„Einige
Wochen bestimmt“, blieb Filomena vage.
„So lange?“
Übelkeit schoss in Emilia hoch, wenn sie daran dachte, so lange ihre Tage mit
der Herzogin und ihre Nächte mit dem Herzog verbringen zu müssen. Dann
erinnerte sie sich an etwas, das Filomena gerade gesagt hatte. „Was meintest du
mit, wir ? Planst du ebenfalls zu fliehen?“
„So ist es.
Es wird Zeit, dass ich dieses Haus für immer verlasse“, entgegnete Filomena
grimmig.
„Das verstehe
ich nicht… Du bist doch Ordensschwester? Ich dachte, du wärst wegen der
Hochzeit deines Bruders hier und würdest danach in dein Kloster zurückkehren?“
Filomena
ergriff den Schürhaken und stieß einen Holzscheit zurück ins Feuer. Dann erst wandte
sie sich ihr zu. Ihre Haut wies die wächserne Tönung eines Menschen auf, der
selten mit Sonnenlicht in Berührung kam; ihre ausdrucksvollen Augen wirkten darin
wie zwei dunkle Seen. Leise antwortete sie: „Leider bin ich genauso eine
Gefangene wie du. Früher habe ich einige Male den Versuch unternommen, zu
fliehen. Aber ich wurde stets schnell wieder aufgegriffen. Meine Mutter drohte
mir schließlich damit, beim nächsten Mal meine Kinderfrau Anna zu töten. Anna
hat mich aufgezogen. Ich liebte sie sehr und fügte mich.“
“Oh, das
ist…“, empörte sich Emilia und fand keine Worte für das Unfassbare. „Aber warum
willst du eine erneute Flucht wagen? Was wird dann aus deiner Kinderfrau?“
„Anna ist eines
natürlichen Todes gestorben. Ich bin frei. Außerdem können wir mit Unterstützung
rechnen. Dein Bruder und sein Freund Francesco werden dich nicht im Stich
lassen.“ Filomenas blasses Gesicht leuchtete jäh auf, als hätte sich in ihrem
Inneren eine Kerze entzündet.
Emilia
runzelte die Stirn: „Sag, woher kennst du eigentlich Francesco Colonna?“
„Die Familie
Colonna und meine sind miteinander verwandt. Meine Urgroßmutter, Maria
Mazzarini, war einst mit dem Fürsten Lorenzo Colonna verheiratet. Der heutige
Fürst, Francescos Vater, ist ein Großneffe dieses Lorenzo. Ich bin Francesco
früher bei einigen wenigen Gelegenheiten begegnet. Daran hat er sich erinnert,
als er sich gestern hier eingeschlichen hat. Selbstverständlich habe ich ihm
sofort meine Unterstützung zugesagt.“
„Hier im
Schloss darfst du dich also uneingeschränkt bewegen?“
„Ja, aber
ich darf die Anlage nicht alleine verlassen. Wenn ich nach Sulmona möchte, um
dort Einkäufe zu tätigen, ist mir dies nur in Begleitung zweier Wachen
erlaubt.“
„Warum
behandelt deine Mutter dich auf diese demütigende Art? Was veranlasst sie dazu,
dich an der Kette zu halten wie einen Hofhund?“, rief Emilia empört.
„Weil ich
alle ihre Geheimnisse kenne“, erwiderte Filomena schlicht. „Außerdem benötigt
sie meine besonderen Talente.“
„Was für
Talente?“
„Nicht
jetzt. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich sie dir zeigen“, erwiderte
Filomena geheimnisvoll, aber bestimmt.
„Gut,
behalte deine Talente also für dich.“ Emilia beschäftigte etwas anderes. „Könntest
du deiner Mutter nicht versprechen, dass du schweigen wirst, wenn sie dich
gehen lässt?“
Filomena
erlaubte sich ein säuerliches Lächeln: „Das würde sie mir niemals abnehmen.
Dafür kennt sie mich zu gut. Und sie hat Recht. Ich würde ohne zu Zögern zum
Herzog von Savoyen marschieren und ihm ihre Pläne verraten“, erwiderte Filomena
auf eine Weise, die keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit aufkommen ließ.
„Der Herzog
von Savoyen? Der auch König von Sardinien-Piemont ist?“, fragte Emilia
überrascht.
„Ja, und
damit der Regent des größeren Teils von Italien, welches nicht vom Kirchenstaat
beherrscht wird. Auch die Abruzzen gehören zu seinem Herrschaftsgebiet.
„Verzeih,
wenn ich dir nicht ganz folgen kann… Was
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