Das Hexenkreuz
Oder erwartet Ihr von mir, dass
ich mich mit Eurem Sohn auf diesem felsigen Boden paare?“
Beatrice
ignorierte ihren sarkastischen Ton. Ungewöhnlich freundlich erwiderte sie:
„Habt keine Sorge, meine Liebe. Ich kann Euch versichern, mein Sohn zieht für
derlei Aktivitäten ein weicheres Lager vor. Nein, Ihr befindet Euch im Raum der
Besinnung.“
„Und worauf
soll ich mich besinnen? Darauf, dass ich entführt, unter Drogen gesetzt und
wider meinem Willen verheiratet worden bin?“, schleuderte sie ihr voller
Verachtung entgegen.
„Meine Güte,
Ihr habt wirklich einen Hang zur Dramatik. Steigt von Eurem hohen Ross herab
und besinnt Euch nur darauf, dass Ihr eine Frau seid. Damit seid Ihr das stärkste
und göttlichste Wesen, das auf dieser Erde wandelt! Entspringt nicht allein dem
weiblichen Schoß das Leben? Genau das ist es, was die Männer uns seit Anbeginn
der Zeit neiden und warum sie stets bemüht sind, sich über unsere göttliche
Gabe, Leben zu spenden, zu erheben. Dafür schufen sie sich Gesetze und
Religionen, die stets nur einem Zweck dienten: Der Sicherung ihrer alleinigen
Vormachtstellung. Ich habe Eure Reaktion gesehen. Gebt es zu! Ihr habt es selbst
fühlen können, wie die Kraft der Fruchtbarkeit Euer Weiblichstes durchdrungen
hat. Ihr seid stark, Emilia, und wie ich dazu bestimmt, über die Männer zu
herrschen. Vergesst Euren Groll und schließt Euch mir an! Gemeinsam können wir
Großes vollbringen.“ Die letzten Worte hatte sie mit echter Leidenschaft
ausgestoßen. Emilia beobachtete, wie sich das Licht der Fackeln in Beatrices
Augen spiegelte; es wirkte, als würden sich gelbe Schlangen darin winden.
Beatrices Blick übte eine seltsame Kraft auf sie aus und die junge Frau wurde
von ihm angezogen wie von einem Magneten. Plötzlich erschien es ihr richtig, sich
in die kommenden Ereignisse fallen zu lassen…
Dann drang
das ihr Widerfahrene machtvoll zurück in ihr Bewusstsein. Die erzwungene
Heirat, Francesco, verletzt und gefangen in den Klauen dieser Hexe. Beatrice
stellte das Gleiche mit ihr an wie Ferrantes Mutter! Irgendeine Täuschung mit
den Augen. Sie widerstand der Versuchung: „Was redet Ihr da bloß? Mich mit Euch
gemein machen? Ihr müsst wahrhaftig den Verstand verloren haben! Ich will mit
Euren Machenschaften nichts zu tun haben. Entweder Ihr lasst mich gehen oder
Ihr tötet mich!“, schleuderte sie ihr entgegen.
Beatrice
verzog den Mund zu einem halben Lächeln. „So stolz und so unendlich naiv…“ Sie
streckte ihre Hand aus und strich Emilia beinahe zärtlich über die Wange, „…Und
so unendlich dumm. Wisst, dass es immer eine dritte Möglichkeit gibt, meine
Schöne. Ihr habt noch sehr viel zu lernen.“
Emilia wich
mit einer angeekelten Grimasse zurück. „Ich kann Euch versichern, dass es
nichts gibt, was ich von Euch zu lernen gedenke und ganz gewiss nichts über
Eure Machenschaften, Lügen und Manipulationen mittels Eurer Drogen. Wie kommt
es überhaupt, dass Ihr mir bis jetzt keine weitere verabreicht habt?“,
erkundigte sie sich argwöhnisch.
Für den
Bruchteil einer Sekunde flackerte Unmut in den Augen der Herzoginmutter auf.
Dann antwortete sie leichthin: „Mein Sohn wünscht dies so. Er möchte, dass Ihr
freiwillig zu ihm kommt. Ihr sollt das Vergnügen, das Bett mit ihm zu teilen,
bei vollem Bewusstsein erleben“, ergänzte sie anzüglich.
Emilia
konnte nicht verhindern, dass ihr das Blut in die Wangen schoss. „Niemals“,
stieß sie mit einem Knirschen hervor.
„ Niemals ,
mein Kind, ist ein großes Wort. Wie auch immer Ihr Euch entscheiden werdet, ich
werde Euch nun verlassen. Haltet Euch bereit. In wenigen Minuten wird ein Gong
ertönen. Dann erwarte ich, dass Ihr mir durch diese Tür hier folgt. Falls
nicht, werde ich Euch holen lassen. Das Ergebnis wäre dasselbe. Erspart Euch
also die Peinlichkeit.“ Sie zog an einer Kordel. Einer der Vorhänge enthüllte
ein weiteres Portal, welches jenem, durch das sie eingetreten waren, genau
gegenüber lag. Beatrice glitt flink hindurch. Ebenso rasch schloss sich das Tor
hinter ihr. Ihr abrupter Abgang ließ Emilia aufgewühlt zurück. Sie fragte sich,
welche Teufelei ihr als nächstes bevorstand. Der Raum der Besinnung flößte ihr
mit seinem eigentümlich lebendigen Boden Unbehagen ein. Er stellte irgendetwas
mit ihr an, was über ihr normales Verständnis dieser Welt hinausging. Er schien
sie in gleichem Maße zu stärken, wie er sie schwächte. Während sie vor sich hin
grübelte und verzweifelt
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