Das Hexenkreuz
es zu einem ordentlichen Zopf geflochten, der ihr dick wie
ein Kinderarm bis zur Taille reichte. Seitdem Serafina zur jungen Frau
herangereift war, legte sie sehr viel Wert auf ein adrettes Aussehen.
Emilia nahm
dies mit einem leichten Staunen in sich auf. Sie hatte diese Veränderungen an
ihrer zwei Jahre älteren Freundin bisher kaum wahrgenommen. Unvermittelt wurde
sie sich ihrer eigenen, äußerlichen Unzulänglichkeiten bewusst. Verstohlen
betrachtete sie ihre Hände, die für eine Dame viel zu sehr gebräunt waren. Sie sah
auch die dunklen Ränder unter ihren Nägeln und befühlte zaghaft ihre zersauste
Mähne, der vermutlich eine Staubwolke entsteigen würde, sollte sie auf die Idee
kommen, sie zu kämmen. Doch sie ließ ihrer Verlegenheit keinen Raum sich zu
entwickeln - zu sehr hatten sie Serafinas Worte aufgestört: „Soll das heißen,
dass du dir wünschst, aus Santo Stefano fort zu gehen? Aber wir sind glücklich
hier. Warum kann es nicht so bleiben? Wir könnten weiterhin nackt in der Quelle
baden, bei Vollmond um den Druidendolmen tanzen und in den Höhlen mit den geheimnisvollen
Wandmalereien klettern. Bald können wir die ersten Kirschen naschen, im Gras
liegen und die Wolken zählen. Das alles würdest du aufgeben?“ Den letzten Satz
brachte sie nur mehr flüsternd heraus, als kannte sie die Antwort darauf längst
selbst. Eine tiefe Traurigkeit bemächtigte sich ihrer nun, als hätte sie etwas
ihrem Herzen besonders Teures verloren.
Serafina
spürte Emilias hilflose Traurigkeit als Echo in ihrem eigenen Herzen. Auch sie
erfüllte dieselbe Melancholie um eine Vergangenheit, die ihnen nun umso
kostbarer erschien, da sie beide begriffen, dass es nie mehr so sein würde wie
früher. Sie kniete sich vor Emilia: „Sieh, liebste Freundin. Wir hatten
zusammen eine wunderbare Kinderzeit. Wir kannten nur unsere eigene kleine Welt und
es schmerzt, davon Abschied zu nehmen. Doch wir sind zu jungen Frauen
herangewachsen. Was Kindern erlaubt war, dürfen junge Damen niemals tun. Was
würde unser neuer Priester sagen, wenn er uns dabei erwischt, wie wir bei Vollmond
nackt um den Dolmen tanzen? Das wäre mal ein Skandal.“ Serafinas Mundwinkel
zuckten. Ihr schien der Gedanke zu behagen, den Mann damit auf die Palme zu
bringen. „Ich wette, er wünscht sich zweihundert Jahre in der Zeit zurück, als
man mit Unsereiner noch kurzen Prozess machen konnte.“ Serafina dachte dabei an
ihre Urururgroßmutter, die vor über einhundertvierzig Jahren während des
Dreißigjährigen Krieges dem Inferno der Inquisition im deutschen Bamberg
entkommen war. Damals hatte sich der Hass auf das vom Krieg zerstörte und von
Seuchen und Missernten heimgesuchte Land auf alles entladen, was verdächtig
schien. Wie immer, wenn Unglück und Elend den Menschen heimsuchten, machte er
den Teufel dafür verantwortlich und tötete seine vermeintlichen Bundesgenossen.
Ausgerechnet in Italien, das die Inquisition einst im 13. Jahrhundert begründet
hatte, loderten nur einige Hundert Scheiterhaufen - während im deutschen
Heiligen Römischen Reich und Spanien Hundertausende den grausamen Feuertod
starben. Die Flucht von Serafinas Urahnin endete im tiefsten Winkel Italiens. Die
einfachen Bergbauern hatten die erschöpfte junge Frau und ihre kleine Tochter
aus Mitleid aufgenommen. Sie riefen sie La Tedesca, die Deutsche - ihr
richtiger Name Düßlein hatte sich als unaussprechlich erwiesen. Plötzlich stutzte
Emilia. „Sag, woher weißt du eigentlich, dass ich einem Herzog versprochen
worden bin? Ich habe es selbst nicht erwähnt ...“
Serafina zog
es vor zu schweigen.
Emilia
begriff: „Oh… Also das ist die Höhe… Was für ein starkes Stück!“, ereiferte sie
sich. „Ich dumme Gans komme hierher, um dir mein Herz auszuschütten, und dabei
wusstest du längst Bescheid und sagst kein Wort. Pfui und nochmals pfui!“,
schrie sie - sehr zum Missfallen Paridis, der nichts so sehr liebte wie Stille
und Harmonie. Er verzog sich endgültig und trabte mit aufgestelltem Schwanz
davon.
Serafina
zuckte lakonisch mit den Schultern: „Setz dich und spar dir die Spucke. Es
lohnt nämlich nicht. Ich habe lediglich von einem vagen Hochzeitsgerücht
gehört. Kombiniert habe ich erst, nachdem ich Piero durchs Dorf paradieren sah und
du kaum eine Stunde später mit Sterbensmiene bei mir angetanzt bist. Ehrlich,
du hast ausgesehen, als hätte man dich gebeten, dein Haar zu kämmen und ein
sauberes Kleid anzuziehen.“
„Was soll
denn mit meinem
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