Das Hexenkreuz
Entschlossenheit in Frage zu stellen.
Serafinas
Augen verengten sich zu sehr schmalen Schlitzen. Innerlich knirschte sie mit
den Zähnen. Sie wusste, von wem das neueste Hirngespinst Emilias stammte: Den
Floh hatte ihr Giovanni da Gallo ins Ohr gesetzt, oder besser, dessen Brief. Sein
stolzer Vater Guiseppe hatte ihneiner
interessierten Zuhörerschaft vorgelesen, zu der leider auch sie und Emilia
gezählt hatten. Giovanni war vor zehn Jahren urplötzlich aus Santo Stefano
verschwunden gewesen. Irgendeine Weiber-Geschichte, in deren Zusammenhang der
Name der Gattin des Dorfvorstehers eine Rolle gespielt hatte. Nun also hatte er
aus Amerika geschrieben, wo er angeblich zu Geld gelangt war. Eine
phantastische Geschichte - kaum weniger
phantastisch, als dass Giovanni, der nie über das Stadium hinausgekommen war,
seinen Namen krakeln zu können, diese Zeilen verfasst haben sollte. Vermutlich
hatte er seine letzten Kröten zusammengekratzt, um seine Lügen einem Schreiber zu
diktieren. Doch Serafina war die Abenteuerlust in den Augen der Burschen nicht
entgangen, die Giovannis Prahlereien hervorgerufen hatte. Offenkundig erwies
sich nichts als so ansteckend wie der Traum von einer glorreichen Zukunft. Zwei
Tage später hatten der Schusterjunge und der jüngste Sohn vom Dorfkrugwirt ihre
Bündel geschnürt. Wie es aussah, hatte sich auch Emilia mit dem Amerika-Virus
infiziert. Verdammter Giovanni! Serafina stemmte die Hände in die Hüften
und machte sich Luft: „So so. Jung, mutig und entschlossen reicht also? Und wie
steht es mit Geld? Womit glaubst du, das Schiffsbillet für die Überfahrt
bezahlen zu können, hmm? Dein Bruder ist Novize. Außer der Bibel, besitzt er nur
das, was er auf dem Leibe trägt. Denkst du, der gute Emanuele wird den
Klingelbeutel für dich stibitzen?“ Damit hatte sie ohne Frage den wunden Punkt
von Emilias großartigem Plan berührt. Doch ihre Freundin hatte diesen
Stolperstein bedacht. In aller Schlichtheit antwortete sie: „Ganz einfach. Ich
werde mir das Geld von deiner Mutter borgen.“ Sie strahlte ihre Freundin an.
Jetzt
verschlug es sogar der hart gesottenen Serafina die Sprache. Doch sie fand sie
rasch wieder: „Wirklich“, schalt sie. „Ich bin ja so einiges an Absonderlichkeiten
von dir gewohnt, aber gerade hast du dich selbst übertroffen. Was denkst du dir
bloß?“ Sichtlich verärgert schüttelte sie ihren Kopf und ihr Zopf sprühte
silberne Funken. „Ehrlich, Emilia, ich glaube, die drohende Heirat hat dir den
Verstand vernebelt. Was bringt dich auf den haarsträubenden Gedanken, dass
meine Mutter dir Geld leihen würde, noch dazu für deine Flucht? Hast du eine
Minute lang daran gedacht, dass uns dein Vater mit Schimpf und Schande aus dem
Dorf jagen wird, sollte er davon erfahren?“
„Äh … nun ja …“, druckste Emilia herum.
Serafina
registrierte ihren Anflug von Unsicherheit. Mit verschränkten Armen wartete
sie, dass sich ihre Freundin erklärte.
Emilia
stocherte mit dem Schürhaken in der Glut. „Nun ja, deine Mutter borgt es mir
nicht direkt … Das Geld meine ich ...“
„Aha. Wie
soll meine Mutter es dir dann borgen? Indirekt?“, versetzte Serafina säuerlich.
„Eigentlich
hatte ich gehofft, dass du es von ihr heimlich borgen könntest?“,
erwiderte Emilia zaghaft. Wenigstens besaß sie den Anstand zu erröten. „Ich
würde dasselbe für dich tun, ehrlich!“, ergänzte sie hastig, bevor Serafina
aufbegehren konnte. „Versteh doch. Ich will nicht heiraten, niemals! Die Liebe
interessiert mich ebenso wenig wie ein Ehegatte, egal, ob Herzog oder
Schafhirt. Du kennst mich, ich brauche keinen Luxus. Was soll ich mit solchem
Firlefanz wie Schmuck und prachtvollen Roben? Bitte, Serafina! Du bist nicht
nur meine letzte Hoffnung, sondern auch meine einzige. Du musst mir helfen. Ich
bin nicht so naiv, um nicht zu wissen, dass ich für den Anfang Geld benötigen
werde. In Amerika werde ich mich schon irgendwie durchschlagen. Es ist ein
freies Land. Ich werde mir dort eine Existenz aufbauen und eigenes Geld
verdienen. Dann schicke ich euch das geliehene Geld mit Zinseszins zurück. Was
sagst du?“
„Was ich
dazu sage? Was ich dazu sage?“, ereiferte sich Serafina. „Ich sage dazu, dass
mir mein ganzes Leben noch nie ein hirnrissigeres Vorhaben untergekommen ist.
Was für ein unausgegorener Plan und von vorneherein zum Scheitern verurteilt!
Was glaubst du, was mit einer Frau geschieht, die allein und ohne Schutz eine
solche Reise unternimmt? Das sind
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