Das Hexenkreuz
Kleid nicht stimmen?“ Emilias Wut verpuffte meist so schnell,
wie sie davon erfasst wurde. Verständnislos sah sie an sich hinunter und
bemerkte einige in ihren Augen kaum nennenswerte Verschmutzungen.
Serafina
sandte einen Blick an die Decke, als bäte sie den Himmel darum, ihr Hilfe zu
schicken. „Du bist und bleibst unverbesserlich, Emilia“, seufzte sie in einem
Ton, der Emilia an ihre verstorbene Mutter Agostina erinnerte. „Was soll nur
aus dir werden“, fuhr sie fort. „Sieh dich an. Unter all dem Schmutz verbirgt
sich ein wunderschönes Mädchen. Doch dir scheint das vollkommen egal zu sein. Du
weißt, unser Pfarrer ist mir und meiner Mutter lästiger als eine Zecke und niemals
hätte ich geglaubt, dass ich einmal etwas Gutes über ihn vermelden könnte. Aber
dass er deinen Vater dazu gebracht hat, dir zu verbieten in Emanueles Hosen
herumzulaufen, rechne ich ihm an. Hör zu, ich bin deine Freundin, richtig?
Darum muss ich dir sagen, dass es mir schwer fällt, deine Erregung
nachzuvollziehen. Gut, dein Vater hat beschlossen, dich zu verheiraten. Was
hast du erwartet? Ist das nicht seit Jahrhunderten das Schicksal jeder
heiratsfähigen Adelstochter? Ich habe gehört, dass dein Zukünftiger weit davon
entfernt ist, ein Lustgreis zu sein. Im Gegenteil, er ist jung und gebildet und
eine der besten Partien im Land. Warum sträubst du dich so gegen diese
Verbindung? Was wäre die Alternative? Hier bleiben und dich auf diesem düsteren
Felsen vergraben? Willst du dein Leben lang Schafe hüten, Safran pflücken und mit
deinem Vater dem Ende entgegenwelken, bis deine Schönheit verblüht ist? Glaub
mir, Emilia, du bist nicht dazu bestimmt, an diesem vergessenen Ort zu
verkümmern. Deine Schönheit hat Macht über die Männer. Nutze sie. Ich wette,
dein Gatte frisst dir schon am ersten Tag aus der Hand. Nicht er wird dich zur
Frau nehmen, sondern du ihn zum Mann.“
„Wirklich, du
hörst dich an wie mein Vater“, erwiderte Emilia grätig. „Wenn ich es nicht
besser wüsste, könnte ich fast glauben, ihr hättet euch ausgetauscht. Er hat
mir den Herzog mit gleichlautenden Lobpreisungen schmackhaft machen wollen.“
„Vielleicht
höre ich mich genauso wie dein Vater an, weil wir dieselbe Sprache der Vernunft
sprechen! Willst du nicht wenigstens darüber nachdenken, Emilia?“
„Wie denn?
Sie lassen mir ja nicht einmal das. Die Stute ist veräußert und wird schon
morgen dem neuen Stall zugeführt werden. So einfach ist das“, sagte sie bitter.
Emilia hatte sich von ihrer Freundin Hilfe versprochen, stattdessen hatte sie
sich auf die andere Seite geschlagen. Emilia dachte nicht daran, sich in ihr
Schicksal zu fügen. Sie hatte bereits auf dem Weg zu Serafina überlegt, welche
Optionen sie hatte. Inzwischen hatte sich ihr Entschluss verfestigt: Ja, sie
würde Santo Stefano verlassen, aber sicher nicht, um irgendeinen Herzog zu
heiraten!
Serafina alarmierte
der Ausdruck auf Emilias Gesicht. Aha, dachte sie, sie heckt etwas aus! Serafina
änderte die Richtung. „Gut, dann lass mal hören, was du dir Feines ausgedacht
hast. Was gedenkst du gegen die Heiratspläne deines Vaters zu unternehmen?“
„Du wirst
mir also helfen?“ Hoffnungsvoll blickte Emilia ihre Freundin an.
„Ho, ho,
immer langsam. Davon kann keine Rede sein. Verrate mir zuerst, was du vorhast.
Dann werde ich es mir durch den Kopf gehen lassen. Es kann aber gut sein, dass
ich versuchen werde, es dir auszureden.“
Typische
Serafina-Antwort, dachte Emilia. Sie sagte weder ja noch nein. Nie ließ sie
sich auf etwas festlegen. Sie reckte ihr Kinn: „Noch heute Nacht werde ich
Santo Stefano verlassen. Ich will nach Rom, zu meinem Bruder Emanuele. Mit
seiner Hilfe werde ich mir ein Schiff suchen“, verkündete sie.
„Ein Schiff?
So, so. Und an welche fernen Gestade soll es dich entführen?“, erkundigte sich
Serafina mit einem spöttischen Lächeln.
„Nach Amerika!“, brach es aus Emilia heraus. Ihre Augen
leuchteten wie das Meer, das sie zu überqueren gedachte.
„Das ist
nicht dein Ernst“, entfuhr es Serafina. Aufrichtig verblüfft starrte sie ihre
Freundin an. Eigentlich hätte sie mit einer solchen Verrücktheit rechnen
müssen.
„Natürlich,
es ist mein voller Ernst“, erwiderte Emilia würdevoll. „Ich bin jung, mutig und
entschlossen. Was braucht es mehr, um auf große Fahrt zu gehen?“ Sie brachte
dies mit einer gehörigen Prise Trotz an, gewürzt mit der leisen Warnung an ihre
Freundin, es bloß nicht zu wagen, ihre
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