Das Hexenkreuz
gesamte Entourage
setzte sich wieder in Bewegung. Später erfuhr Emilia durch einen Höfling,
dessen Name sie gleich wieder vergessen hatte, irgendwas mit Orléans, dass der
König gerne Zeit in seinem Gemüsegarten verbrachte und oft auch selbst Hand
anlegte. „Stellt Euch vor“, meinte die arrogante Stimme und führte seiner Nase
eine tüchtige Prise Schnupftabak zu, „Wie seine Majestät die Spitzhacke
schwingt! Aber er lässt sich das ja partout nicht ausreden.“ Er nieste heftig
und Emilia suchte das Weite.
Die nächsten
Tage vergingen in vielfältigen Vergnügungen. Der Hof tanzte und amüsierte sich
und der König speiste – dies in aller Öffentlichkeit auf einem erhöhten Podest.
Niemals zuvor hatte Emilia jemanden mit einer solchen Eleganz ein Ei köpfen
sehen. Bälle, Bankette, Opern- und Theateraufführungen wechselten einander in
kurzem Abstand ab. Tagsüber ging es entweder auf die Jagd, man promenierte im
Park oder man spielte Karten mit hohem Einsatz. Als Emilia mitbekam, um welch
horrende Summen es dabei ging, kam sie der Aufforderung der Maréchalle Mirepoix
gerne nach und nahm am Spieltisch Platz. Das Spiel war einfach und schnell
erklärt. Sie empfand eine diebische Vorfreude dabei, das Geld des Herzogs zu
verspielen. Das würde ihn ein Vermögen kosten! Nur leider, so sehr sie sich
auch bemühte, sie gewann Partie um Partie und bald stapelten sich die Livres in
goldglänzenden Häufchen vor ihr auf.
„Oh, das ist
einfach nicht gerecht“, seufzte die Mirepoix. „Glück in der Liebe und im Spiel,
das ist zu viel für mich. Ich gebe auf, denn ich habe keinen einzigen Sou mehr,
den ich noch setzen könnte.“ Emilia nutzte den Augenblick, um sich ebenfalls zu
erheben. Unter den missmutigen Blicken ihrer Mitspieler raffte sie die Livres zusammen
und stopfte sie in ihren Beutel. Immerhin besaß sie jetzt eigenes Geld.
Außerdem hatte sie eine wichtige Lektion gelernt: Wenn man etwas zu sehr
wollte, konnte es geschehen, dass genau das Gegenteil eintrat. Vor allem aber
staunte Emilia in diesen Tagen, dass all diese aufgeputzten Höflinge scheinbar
nichts anderes kannten, als sich fortwährend ihrem Amüsement hinzugeben. Es entzog
sich völlig ihrem Verständnis, wie man seine Existenz auf dem bloßen Nichtstun
gründen konnte. Und das, obwohl das Schicksal diesen Männern und Frauen das
unerwartete Geschenk zuteil hatte werden lassen, hoch und privilegiert geboren
zu sein. Die meisten Gespräche drehten sich entweder um Mode, wie die Höhe der
Absätze oder ob man eine Schleife links oder rechts oder doppelt binden sollte,
wie man ein Amt oder ein Privileg vom König erlangen konnte, an wen er am
Morgen sein Wort gerichtet hatte oder wer ihm am Abend sein Hemd reichen dürfe
und so weiter und so fort. König hier, König dort, schnatter schnatter. Wie
Planeten kreisten sie alle auf der gleichen monotonen Bahn um ihre Sonne, den
König. Es war eine künstliche und flüchtige Welt, ein in sich geschlossener
Mikrokosmos, mit dem König als einzigem Fixstern. Sie neigten sich seiner Sonne
entgegen, um sich darin zu entfalten, doch verdorrten dabei. Im Grunde waren
alle diese Höflinge ebenso unfrei wie sie, mit dem Unterschied, dass sie ihre Ketten
aus freiem Willen trugen. Es stimmte, Frankreich war der mächtigste Staat
Europas, kein Land konnte es mit seiner Kultur und seiner Lebensart aufnehmen, sogar
Voltaire war Franzose! Versailles war der glanzvollste Hof Europas, ein
geradezu mythischer Ort, und doch empfand Emilia ihn zunehmend als beklemmend.
Niemals könnte sie sich diesem stumpfsinnigen und geisttötenden Leben anpassen,
in dem belanglose Nichtigkeiten zu erstrebenswerten Dingen aufgeblasen wurden.
Der Hof prunkte nach außen mit einer glänzenden Fassade, doch in sich war er
hohl und oberflächlich. Und hinter jeder Ecke lauerte die bösartige Fratze von
Intrige und Verleumdung, deren bevorzugtes Ziel derzeit die Du Barry
darstellte. Offenbar warf man ihr vor allem ihre Schönheit, ihre Herzensgüte
und die Tatsache vor, dass sie sich bisher von Niemandem für die eigenen Zwecke
hatte einspannen lassen. Die Du Barry war nicht an Politik interessiert.
Kurzum, der aufgerüschte
Hof fing an, Emilia gehörig auf die Nerven zu gehen. Dabei bemühte sich
jedermann um die Gunst der schönen Herzogin. Zuweilen kam sie sich wie ein Stück
Brot vor, das mitten in eine Schar hungriger Enten geworfen worden war. Auch
der König schenkte ihr in diesen Tagen mehrmals seine Aufmerksamkeit und
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