Das Hexenkreuz
die
Favoritin wachte mit Argusaugen über ihn. Emilia fürchtete sich vor dem Tag, an
dem Ludwig sie erneut zu einer Audienz in sein privates Kabinett bitten würde.
Offenbar
schienen die Verhandlungen in der Angelegenheit ihres Gemahls ins Stocken
geraten zu sein, obwohl der Herzog sich ihr gegenüber darüber nichts anmerken
ließ. Er übte sich nach außen hin in der bourbonischen Maske der
Undurchschaubarkeit und ähnelte hierin ganz seinem königlichen Vetter. Emilia
hatte dem allgegenwärtigen Hofklatsch entnommen, dass der Stern des
selbstgefälligen Choiseuls im Begriff stand zu sinken. Jedermann schien dies zu
bemerken, nur der eitle Choiseul wog sich selbst weiter in falscher Sicherheit.
Er hielt sich gleichermaßen für unentbehrlich wie unersetzlich, und wusste
dabei das ständig gegen den König opponierende Parlament von Paris auf seiner
Seite. Emilia interessierte sich nicht für sein Unterfangen oder irgendwie
sonst geartete Machenschaften. Ihre Gedanken kreisten allein um die Möglichkeit
einer Flucht. Ihr Gemahl verbrachte viel Zeit damit, sich mit dem Minister Choiseul
und diversen anderen Hofbeamten, wie dem Abbé Terray, dem Generalkontrolleur
der Finanzen seiner Majestät, zu beraten. Emilia begrüßte Carlos‘ häufige Abwesenheit.
Sie wartete darauf, dass die Favoritin eine Entscheidung traf. Zur gleichen
Zeit machte das Gerücht die Runde, dass der Dauphin bald verheiratet werden
sollte und der gesamte Hof schien vor Erregung beinahe überzuschwappen. In der
Erzherzogin Maria-Antonia, einer Tochter der österreichischen Kaiserin Maria
Theresia, sollte die passende Kandidatin gefunden worden sein. Angeblich sollte
sie sehr hübsch sein und von angenehmer Gestalt - was nicht viel heißen musste,
denn das wurde schließlich von jeder heiratsfähigen Prinzessin Europas behauptet.
Der neue Dauphin Ludwig, ein Enkel Ludwigs XV., kam ganz nach seinem an
Schwindsucht gestorbenen Vater. Ebenso wie dieser war er ein ungewöhnlich
ernster junger Mann und schien so überhaupt nicht ein Abkömmling des charmanten
Ludwigs XV. zu sein.
Am nächsten
Morgen begab sich seine Majestät mit seiner üblichen Entourage, unter anderem
Choiseul, dem Maréchal de Richelieu, dem Herzog von Noailles, die Grafen Meuse
und Soubise wie auch Madame Du Barry, nach La Muette. Das kleine bezaubernde Jagdschloss
am Rande des Bois de Bologne war seit Ludwigs frühester Kindheit seine
Lieblingsresidenz. Herzog Carlo und seine Gemahlin erhielten keine Einladung.
Ludwig zögerte seine Entscheidung weiterhin hinaus, ebenso wie die Gräfin Du
Barry. Mehrere Tage verstrichen, die Emilia, nachdem sie die förmliche
Erlaubnis ihres Gatten eingeholt hatte, Versailles verlassen zu dürfen, damit
verbrachte, sich die Stadt Paris näher anzusehen. Unter anderem besichtigte sie
- begleitet von Hauptmann Graziano - das weitläufige Palais des Tuileries, das
frühere Stadtschloss der französischen Herrscher. Auch der riesige Louvre
beeindruckte sie. Er teilte das Schicksal der Tuilerien als ehemaliger
Königspalast, nachdem der Sonnenkönig seine Residenz 1682 endgültig nach
Versailles verlegte hatte. Immerhin beherbergte er nun die von Kardinal Richelieu
gegründete berühmte Académie française. Selbstverständlich fehlte auch die
Kathedrale von Notre-Dame nicht auf ihrem Besichtigungsplan. Ihr Bruder
Emanuele hätte es ihr nie verziehen, wenn sie diese monumentale Perle der
christlichen Baukunst verschmäht hätte.
Zwei weitere
Wochen verstrichen, ohne dass sich die Du Barry bei ihr gemeldet hätte. Nach
einem ihrer Ausflüge betrat Emilia ihr Gemach und fand es in ziemlicher Unordnung
vor. Überall lagen ihre Kleider verstreut und Rosa und Odette waren emsig
dabei, sie zu sortieren und in den Reisetruhen zu verstauen.
„Was tut Ihr
da? Wer hat Euch dazu angewiesen?“
„Das war
ich.“ Der Herzog lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen. Rosa und Odette
ließen sofort alles stehen und liegen, knicksten und flatterten hinaus.
„Und wohin
werden wir reisen? Geht es zurück nach Versailles?“ Emilia näherte sich ihrem
Frisiertisch, löste die Nadeln aus ihrem Federhut und warf ihn achtlos aufs
Bett.
„Ahnst du es
nicht?“ Carlo verließ seinen Platz an der Tür und näherte sich ihr.
„Aber nein,
wie sollte ich?“ Emilia wandte sich dem Herzog nun zu und mühte sich Ruhe zu
bewahren. Ihr Puls war nicht dieser Meinung und holte zum Trab aus.
„Du kehrst nach
Sulmona zurück. Mutter wird sich
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