Das Hexenkreuz
jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt, uns den
Kopf über verschwundene Dokumente zu zerbrechen? Wer sie hat und wie viele es
sind? Sollten wir uns nicht vielmehr darum sorgen, wie wir Emilia schleunigst
aus ihrer misslichen Lage befreien können?“ Sie zeigte dabei auf das große
Fenster, auf dessen Scheiben sich die goldenen Strahlen der Abendsonne spiegelten.
„Seht Ihr? Der Abend naht. Soll die Fürstin die Nacht über im Gefängnis
ausharren?“
„Ihr gebe
Euch Recht, junge Dame. Und ich verstehe, dass Ihr Euch in erster Linie um das
Schicksal Eurer Freundin sorgt. Leider sind diese Dokumente der Schlüssel zu
ihrer Verhaftung und ich muss sichergehen, hier nichts zu übersehen. Der Fakt,
dass man die Fürstin mit einem unserer Dokumente verhaftet hat, beunruhigt mich
sehr. Man wird sie befragen, woher sie es hat. Ich bin ihr nie begegnet, doch
wenn sie ein Stück weit ihrem Zwillingsbruder ähnelt, so wird sie nichts
verraten. Wir können nur hoffen, dass die Befragung noch nicht begonnen hat.
Ich kenne Stoppanis Assessor Bertolli. Er ist ein harter und erbarmungsloser
Mann. Vor allem aber nagt der Ehrgeiz an ihm wie ein böses Geschwür. Er strebt
das höchste aller Kirchenämter an. Falls er eine winzige Chance sieht, einen
Vorteil aus der Angelegenheit zu ziehen, so wird ihm jedes Mittel Recht sein.“
„Ihr wollt damit
doch nicht etwa andeuten, dass man die Fürstin der Tortur unterziehen könnte?
Aber das ist ja barbarisch“, rief Serafina entsetzt.
„Aber
natürlich ist es das! Unser Pater Friedrich Spee hat diese Methoden bereits 1631
in seiner Cautio Criminalis angeprangert. Trotzdem stellt sie weiterhin ein
legitimes Mittel in unserem Kirchenstaat dar. Nur die Wahrheit kann die Fürstin
davor bewahren. Ich werde deshalb sofort aufbrechen. Ich kenne jemanden aus
Stoppanis engerer Umgebung. Er schuldet mir noch einen Gefallen.“
Pater
Baptista versuchte sich aus eigener Kraft zu erheben, sank jedoch mit einen
schmerzhaften Stöhnen zurück. Donna Elvira war sofort auf den Beinen. „Aber Ihr
seid schwer verletzt, Pater, und noch viel zu schwach, um aufstehen zu können,
von einem Botengang ganz zu schweigen. Es muss doch eine andere Lösung geben.
Kennt Ihr niemanden, nach dem Ihr schicken könnt?“
„Ihr habt
Recht, mein Geist hat wohl nicht mit der Gebrechlichkeit meines Körpers
gerechnet. Es ist fürwahr lästig, alt zu werden“, brummte er.
„Ihr seid
nicht alt, sondern verletzt, Pater“, lächelte Elvira.
„Nun, dann
bringe man mir eben Papier, Feder und Tinte. Ich werde einige erklärende Zeilen
verfassen. Allerdings ziehe ich es vor, diese vertrauliche Botschaft keinem
Diener anzuvertrauen. Vielleicht könnte der junge Cavaliere di Stefano den
Botengang übernehmen, da es sich ja um seine Schwester handelt?“
„Selbstverständlich
stehe ich Euch zu Diensten, Pater“, warf sich Piero in die Brust.
Baptista
machte sich daran, die Botschaft zu verfassen. Er versiegelte den Brief mit
heißem Wachs und tauchte seinen Ring hinein. Dann überreichte er ihn feierlich
an Piero. „Hier. Begebt Euch in die Kirche Santa Maria della Maggiore auf der
Piazza San Silvestro. Fragt nach Pater Egidio. Er ist dort um diese Zeit stets
anzutreffen. Übergebt ihm meine Nachricht und kehrt dann gemeinsam mit ihm
hierher zurück.“
Nachdem
Piero sich verabschiedet hatte, lehnte sich Pater Baptista zurück und sagte:
„Wohlan, nun da wir diesen eitlen Hanswurst endlich los sind, können wir
darüber beraten, wie wir die Fürstin Emilia aus den Klauen von Stoppanis
Schergen retten wollen.“ Diese Aussage bescherte ihm rundherum verblüffte
Blicke. Allein Donna Elvira setzte ein verstehendes Lächeln auf. Sie hatte sich
bereits über Pater Baptistas Milde gegenüber Pieros dreistem Diebstahl
gewundert.
„Signorina
la Tedesca“, wandte er sich an Serafina. „Seid so gut und holt mir noch mehr
Papier. Ich muss an den russischen Botschafter Prinz Galitzin schreiben. Wir
benötigen seine Intervention, um die Fürstin aus ihrer Lage zu befreien.“
„Den
russischen Botschafter? Aber wie kommt Ihr gerade auf ihn?“, rief Serafina
impulsiv und ließ alle Förmlichkeit fahren.
Pater
Baptista zeigte ein feines Lächeln: „Wir machen uns das Spiel der Macht
zunutze, deren Regeln die Politik bestimmt. Es ist eine Tatsache, dass unser
Papst auf das Wohlwollen der russischen Zarin Katharina II. angewiesen ist. Man
munkelt von einem kürzlichen Schreiben an ihre Majestät, mit dem sich Clemens
XIV.
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