Das Hexenkreuz
kleinen
kohlrabenschwarzen Augen auf Emilia gerichtet, doch die junge Frau hielt ihren
Kopf beharrlich gesenkt. Plötzlich packte er sie brutal an den Haaren und riss
ihren Kopf zurück. Emilia entfuhr ein schmerzhafter Laut.
„Nun, wie
sah der Händler aus? Wo hat er seinen Stand? Ich höre!“
Emilia gab die
vage Beschreibung eines Mannes ab, wie sie ungefähr auf die Hälfte aller Männer
in Rom zutraf.
Ihr Peiniger
gab sich noch nicht einmal den Anschein, ihr zu glauben. „Wisst Ihr, was die
Zeichen im Einzelnen zu bedeuten haben?“, fragte er lauernd.
„Ich nicht,
aber der Händler hat steif und fest behauptet, dass es sich um das Aramäische
handelte - jener Ursprache, in der unsere Bibel einst von heiligen Männern
verfasst wurde“, hauchte sie mit angemessener Ehrfurcht. „Stimmte das etwa
nicht? Denkt Ihr, dass der Mann mich belogen hat? Oh je“, jammerte sie. „Man
hatte mich ja davor gewarnt, dass mir dies in Rom passieren könnte. Aber dieser
Händler wirkte so harmlos und hatte ein so ehrliches Gesicht…“
„Haben sie
das nicht alle?“, erwiderte ihr Kerkermeister scheinbar betrübt. „Sie zeigen
uns ein ehrliches Gesicht, dabei verbreiten sie damit die allergrößten Lügen. Ich
weiß, dass auch Ihr lügt. Ein Angebot: Ihr sagt mir, wer Euch die Schrift
gegeben habt und im Gegenzug sorge ich dafür, dass Eure Wunde versorgt wird.
Ich bin ebenso gewillt zu vergessen, dass Ihr Euch der Verhaftung widersetzt
und einen päpstlichen Soldaten getötet habt. Allein dafür hättet Ihr den Strang
verdient. Ihr müsst mir nur sagen, woher die Schrift stammt, die Ihr mit Euch
führtet. Ein Name, sonst nichts.“
„Aber ich
sagte es Euch doch bereits, hoher Herr. Ich habe sie auf dem Campo di Fiori…“
„Schluss
jetzt mit dem Unsinn“, peitschte die Stimme des Mannes durch das Gewölbe. „Ihr
habt meine Geduld lang genug strapaziert. Denkt Ihr etwa, ich wüsste nicht, wer
Ihr seid? Ihr seid Emilia di Stefano, verwitwete Herzogin von Pescara wie auch
des Fürsten von Nowgorod! Seit dem Tag Eurer Geburt bestimme ich Euer
Schicksal.“ Emilia zuckte zusammen. Schon eine Weile hatte sie gedacht, diesem
Mann mit den kalten Augen schon einmal begegnet zu sein. Aber natürlich! Es war
derselbe Priester, der damals mit ihrem Bruder Piero nach Santo Stefano
gekommen war, um die zukünftige Braut des Herzogs von Pescara zu begutachten!
Der Mann
schnaubte zufrieden. „Gut, Ihr scheint Euch an mich zu erinnern. Ich frage Euch
nun ein letztes Mal, Fürstin: Wo habt Ihr das Original-Dokument der Schrift versteckt
und wo befinden sich die restlichen Rollen? Wo verwahrt Euer Bruder, der kleine
Jesuit, sie auf? Ich warne Euch, mich weiter zu belügen! Ich kann mit Euch
verfahren, wie es mir beliebt.“ Ein niederträchtiger Funke glomm in seinen
Augen, als er anfügte: „Schließlich weisen Eure Papiere Euch als kleinen
deutschen Studenten aus, den niemand vermissen wird, nicht wahr?“
Hinter
Emilias Stirn arbeitete es fieberhaft. Ihre Tarnung war keine mehr. Dafür
segnete sie Filomena nachträglich dafür, dass sie sie dazu überredet hatte, das
Original des Evangeliums bei ihr zu lassen. Fast hätte sie es durch ihre
Dummheit verspielt. Filomena, die geniale Fälscherin, hatte ihr den Text der
Rolle in weniger als zwei Stunden originalgetreu kopiert. Filomena hatte ihr
auch verraten, dass Francesco ebenso wie sie des Aramäischen mächtig war und
keine Übersetzung benötigen würde.
Völlig in
ihre eigenen Betrachtungen versunken, hatte sie den weiteren Worten des Mannes
keine Beachtung geschenkt.
„Ihr scheint
Euch nicht sonderlich um Euer Leben zu sorgen, teure Fürstin. Eure Zuversicht
wird Euch nach ein paar Peitschenhieben sicherlich vergehen“, drohte er. „Los,
hol mir Fosco hierher“, forderte er nun jemanden im Hintergrund auf.
Erst jetzt
bemerkte Emilia, das sich hinter ihm ein dicklicher Mönch herumdrückte. Anhand
seiner hellen Tracht vermeinte sie, ihn als Angehörigen des Dominikanerordens
zu erkennen.
„Fosco, den
Henker?“, fragte dieser ungläubig nach.
„Wen denn sonst,
Dummkopf. Los, geh schon!“
„Verzeiht, Eure Heiligkeit, dass ich Eure Andacht stören
muss, aber der russische Botschafter, Prinz Galitzin, ist hier und wünscht Euch
in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen.“
Clemens XIV.
schätzte es wenig, bei seinem Abendgebet in der privaten Kapelle neben seinem
Schlafgemach gestört zu werden. „Hat er gesagt, worum es geht?“, erkundigte
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