Das Hexenkreuz
kramte sie in ihrem Vorratsbeutel und
hielt dem Jungen die letzten vier Würste hin. „Da, nimm sie alle!“, sagte sie
dumpf. Sie vermied es, Emilia in die Augen zu sehen, um den eigenen Schrecken
nicht gespiegelt zu sehen. Paridi fand sich just ein. Offenbar teilte er die
Gelüste des kleinen Hirten, denn er starrte ihm die Würstchen geradezu aus dem
Mund. Der Junge warf ihm gutmütig eines zu. „Ein wirklich schönes Tier, Euer
Kater. Ihr solltet gut auf ihn Acht geben. Die Herzoginmutter kann nämlich Katzen
nicht ausstehen. Sie hasst sie. Sie und ihre Leute machen Jagd auf sie und
töten alle, derer sie habhaft werden. Irgendwie komisch, wo sie doch eine Hexe
ist, und allgemein bekannt ist, dass die Katze ihr bevorzugter Begleiter ist.“
Wortlos
erhoben sich die Freundinnen, packten ihre Tiere an den Zügeln und machten sich
davon, während der Junge über die restlichen Würstchen herfiel.
Nach einer
halben Stunde stummen Marsches querfeldein, meinte Emilia leise: „Glaubst du,
dass die Behauptungen des Jungen der Wahrheit entsprechen? Dass diese Frau
Neugeborene für ihre Zaubereien missbraucht?“
„Ach wo“,
wehrte Serafina wider besseren Wissens ab. „Ich bin mir sicher, dass der kleine
Schäfer stark übertrieben hat. Er wird wohl irgendwo ein Gerücht aufgeschnappt
und es dann gehörig ausgeschmückt haben. Du weißt ja, wie Jungen seines Alters sind.
Sie prahlen gerne mit ihren angeblich wahren Geschichten. Dabei können sie sich
gar nicht grausig genug anhören. Vermutlich hoffte er, in uns Fremden
gutgläubige Opfer zu finden“, suchte Serafina ihre Freundin zu besänftigen.
„Na ja, bei
mir jedenfalls hat er damit Erfolg gehabt“, erwiderte Emilia beklommen. Serafina,
die vorhatte, den Erguss des kleinen Hirten nicht zu vertiefen, wollte bereits
aufatmen. Da schob Emilia nach: “Und was ist mit der Geschichte von dem Bruder
seines Freundes, den sie derart verhext hat, dass er seine eigene Mutter fast
tot geprügelt hat? Hältst du das auch für ein Hirngespinst?“
Etwas in
Emilias Stimme ließ Serafina innehalten. Emilia musterte ihre Freundin
herausfordernd. Lüg mich nicht an , schienen ihr die saphirblauen Augen
zuzurufen.
Ihre Stute
wackelte nervös mit den Ohren. Das sensible Pferd spürte die plötzliche Spannung
zwischen den beiden Frauen. „Was willst du von mir hören, Emilia?“, antwortete
Serafina. „Eigentlich hat der kleine Hirte kaum etwas von sich gegeben, was wir
nicht längst befürchtet haben. Doch das Wissen ändert nichts. Fakt ist, wir
werden diese Heirat verhindern und du wirst dieser Frau niemals begegnen. Komm
jetzt, wir sind hier für jedermann weithin sichtbar. Wir sollten uns nach einem
geeigneten Unterschlupf umsehen. Die Reiter werden uns bald einholen.“ Sie
fanden diesen Ort wenig später. Dazu mussten sie eine steile Anhöhe erklimmen,
denn aus irgendeinem Grund behagte Serafina der erste Standort nicht richtig.
Sie bestand darauf, weiter nach oben zu klettern. Sie zogen die beiden
widerstrebenden Tiere, die sehnsüchtig nach der grünen Ebene unter sich
schielten, hinter sich her. Schließlich richteten sie sich auf einer nach
hinten abfallenden Felsenschanze ein. Die Ebene mit der alten Straße breitete
sich unter ihnen wie ein Gemälde aus.
Die
herzoglichen Reiter stellten sie auf eine harte Geduldsprobe. Endlich, nach
zwei zähen Stunden, währenddessen Serafina die verlorene Zeit bedauerte,
zeichnete sich eine Staubwolke am Horizont ab, die eine größere Reiterschar
ankündigte. Merkwürdigerweise entdeckten sie beinahe gleichzeitig in der
Gegenrichtung eine weitere Staubwolke. Die beiden Gruppen trafen fast genau in
der Mitte des von ihnen beobachteten Streckenabschnitts zusammen. Der Staub
legte sich langsam und enthüllte ihnen ein Dutzend herzoglicher Reiter. Die
Anführer unterhielten sich. Gebannt verfolgten die jungen Frauen die Szene. Sie
dachten das Gleiche. Hätten sie sich nicht frühzeitig versteckt, wären sie der
zweiten Gruppe Soldaten direkt in die Arme gelaufen.
Einer der
Soldaten hielt genau auf ihren Standpunkt zu. Serafina und Emilia zogen
erschrocken die Köpfe ein. Der Mann sprang vom Pferd und erklomm eben jenen felsigen
Hügel unterhalb ihres Verstecks, den Serafina kurz zuvor als nicht sicher genug
eingestuft hatte. Soldat und Flüchtige trennten kaum mehr dreißig Meter. Wenn
nur die Tiere sich still verhielten! dachte Emilia. Für die nächste Rast
nahm sie sich vor, ihnen die Mäuler zuzubinden.
Der
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