Das Hexenkreuz
breitete sie ihre blonden Strähnen locker über
ihre Schultern. Dann griff sie nach der Kernseife und begann, ihre Unterkleider
zu waschen. Emilia zog es vor, länger im Wasser zu liegen und ihre Gedanken
treiben zu lassen. „Erinnerst du dich noch an das letzte Frühjahr?“, meinte sie
nach einer Weile und setzte sich auf. Wassertropfen glitzerten wie Diamanten
auf ihren Schultern, rannen in kleinen Rinnsalen zwischen ihren jungen Brüsten
hinab und vereinigten sich erneut mit dem Gebirgsbach.
„Was sagst
du?“, murmelte Serafina. Sie hatte ihr nur mit halbem Ohr zugehört, da ein
widerspenstiger Fleck ihre ungeteilte Aufmerksamkeit erforderte.
„Ich meine,
wie es im letzten Mai wochenlang geschüttet hat. Durch Santo Stefano ergoss
sich ein Sturzbach und unsere Alten haben eine neue Sintflut angekündigt. Eines
Morgens hörte es plötzlich auf und die Sonne kam hervor. Dabei ist Nässe so
etwas Herrliches!“, rief sie und breitete ihre Arme aus.
Serafina sah
von ihrem Fleck auf. „Verschrei es nicht, Emilia! Du vergisst die Schlammlawinen,
die anschließend das halbe Dorf unter sich begraben haben. Diese Wärme ist mir
allemal lieber, als wenn wir auf glitschigen Pfaden ausgleiten. Aber der Himmel
macht sowieso, was er will.“ Ein Hauch von Wehmut huschte über ihr Gesicht, als
sie fortfuhr: „Was kümmert die Natur der Mensch? Kümmern wir uns denn um sie? Allein
sie uns nutzbar zu machen, das zählt. Wir fällen Bäume, ohne einen Gedanken daran
zu verschwenden, dass wir damit ein hundert Jahre altes Leben vernichten. Und
was ist mit den Tieren? Wir beide wissen, dass Tiere eine Seele haben. Sie fühlen Liebe und sind der bedingungslosen Treue fähig. Ist Paridi nicht
der lebende Beweis dafür?“ Sie sah ihrem munteren Kater zu, der versuchte,
irgendein obskures Insekt zu fangen.
„Was
bedrückt dich, Serafina? Sag es mir.“ Emilia hatte sich aus dem Wasser erhoben.
„Es ist
nichts“, wehrte ihre Freundin verlegen ab.
„Bitte weise
mich nicht ab. Ich sehe doch, dass du dich sorgst. Bereust du, mit mir mitgekommen
zu sein?“
„Nein, wie
kommst du darauf? Ich bin lediglich hungrig. Lass uns etwas essen. Zuvor
sollten wir uns allerdings etwas anziehen.“
Eine Stunde
später erreichten sie eine großartige Gebirgsebene, ähnlich dem Campo
Imperatore oberhalb von Santo Stefano. Sie kamen dort gut voran. Am Nachmittag
wurde die Landschaft erneut hügeliger, unterbrochen von schroffen
Felsformationen, deren gezackte Linien sich wie Finger in den Himmel reckten.
Bei anbrechender Dämmerung zogen sie auf einem schmalen Gebirgspfad entlang.
Über ihnen glühte im Licht der untergehenden Sonne der Gipfel des Monte
Padiglione. Von der Spitze eines Kammes konnten sie die Schemen zweier größerer
Ortschaften im Osten und im Süden ausmachen. Serafina erklärte nach einem Blick
in ihre mitgebrachte Karte, dass es sich um die kleinen Städte Tagliacozzo und
Carsolí handeln musste. Über die Hälfte ihres Weges nach Rom hatten sie
geschafft!
Sie schlugen
ihr Lager im Schutze eines Felsens auf. Er hing oben etwas über, so dass er ein
natürliches Dach bildete. Am Morgen sehnten sich beide nach einer Tasse Tee,
aber sie wagten es nicht, ein Feuer zu entfachen. Sie tauchten ihr hart
gewordenes Brot in ein wenig Wasser. Paridi tauchte just wieder auf und brachte
ihnen eine tote Maus mit. Auffordernd legte er sie vor Serafina ab, als wollte
er sie an die Notwendigkeiten des Überlebens erinnern. „Heute werde ich uns ein
Kaninchen jagen“, verkündete Emilia zuversichtlich.
Die Luft
hatte sich in der Nacht leicht abgekühlt, doch schon stieg die Sonne in den
blauen Horizont und versprach einen weiteren, ungewöhnlich warmen Tag. Wie
herbeigerufen querte kurz darauf direkt vor ihnen ein geflecktes Kaninchen den
Pfad. Blitzschnell legte Emilia einen Pfeil an. Serafina ruderte mit den Armen
und das Kaninchen hoppelte davon.
„Aber wir
müssen essen!“, erklärte Emilia eingeschnappt.
„Ich werde
etwas für uns finden, sei unbesorgt. Tiere möchte ich nur im äußersten Notfall
töten.“
„Wie du
meinst. Aber beschwere dich nicht über meinen knurrenden Magen“, erwiderte
Emilia und ließ den Pfeil zurück in ihren Köcher gleiten. „Komm´ mir bloß nicht
mit Käfern oder Würmern an! Die werde ich ganz bestimmt nicht essen!“
„Keine
Sorge. Das sind schließlich auch Tiere, oder?“, grinste Serafina.
Während der
nächsten Rast verschwand sie und kehrte mit einer Handvoll der
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