Das Hexenkreuz
davon.
„Du hattest
Recht“, meinte Emilia. „Sie sind teuflisch schlau. Nicht viel und wir
wären ihnen in die Falle gegangen.“
„Ist dir
aufgefallen, dass sie sich ihrer Uniform entledigt haben? Wie sollen wir den
Feind dann noch erkennen?“, grollte Serafina.
Sie begannen
den beschwerlichen Aufstieg. Das Maultier, das Serafina Luigi getauft hatte, benahm
sich ausnahmsweise folgsam, als fühlte es, dass jeglicher Widerstand zwecklos
wäre. Endlich erreichten sie ihr selbstgestecktes Ziel, eine kleine Senke hinter
einem schroffen Felsplateau, völlig uneinsehbar von unten. Erschöpft sanken sie
an Ort und Stelle zu Boden. Ihre Muskeln zitterten von der Anstrengung. Sie
verfügten kaum noch über die Kraft, ihre Tiere festzubinden. Immerhin gab die Vegetation
genügend Nahrung für Maultier und Stute her. Serafina bestand darauf, die erste
Wache zu übernehmen. Emilia protestierte nur schwach und versank sofort in
Schlaf. Sie lösten sich zweimal im Laufe der Nacht ab. Als Serafina Emilia das
zweite Mal weckte, herrschte noch tiefes Dunkel. Emilia gab einen unwilligen
Laut von sich, setzte sich jedoch auf. „Ist es schon soweit?“, fragte sie
schlaftrunken.
„Ja, mach
dich fertig. Wir brechen auf.“
„Mitten in
der Nacht?“ Emilia gähnte herzhaft.
„Der Tag beginnt.
Sieh nach Osten.“ Tatsächlich konnte sie dort einen korallenfarbenen Reflex erkennen.
Die Sonne drängte dem Tag entgegen, die Sterne verblassten. Schnell wurde es
wieder sehr heiß und sie zogen ihre Kappen noch tiefer in die Stirn, um ihr
Gesicht zu schützen. Gegen Mittag passierten sie eine schmale Schlucht, die
zwei kleine Täler miteinander verband. Zwei riesige Felsen, die aneinander lehnten
wie müde Riesen, verjüngten sich nach unten und schufen damit ein natürliches
Tor. Kaum hatten sie dieses passiert, stolperten sie über eine kleine
Ziegenherde. Die Tiere grasten friedlich am Rande einer abschüssigen Wiese. Der
Hirte, ein mageres Bürschchen, lag selig ratzend im Gras, neben ihm ein leerer
Tonkrug. Ohne Vorwarnung stürzte plötzlich ein riesiger, zotteliger Hirtenhund herbei
und blieb nur wenige Meter vor ihnen stehen. Er knurrte und zeigte sein
beachtliches Gebiss. Der Junge ließ sich dadurch nicht in seinem Schlaf stören.
Serafina und Emilia wussten, wie man mit einem abruzzesischen Hirtenhund umging.
Diese Hunde waren nicht darauf abgerichtet, Menschen anzugreifen, sondern ihre
Herde gegen wölfische Räuber zu verteidigen. Um den tödlichen Biss in den
Nacken abzuwehren, trugen sie ein mit Eisendornen besetztes Halsband, ein
Vreccali. Auch dieser Hund trug eines.
Unter den argwöhnischen
Blicken des Hütehundes glitten Emilia und Serafina langsam aus dem Sattel. Dann
nahmen sie ihre Tiere am Zügel und entfernten sich Schritt für Schritt. Der
Hund blinzelte, dann trottete er zu seinem schlafenden Herrn und ließ sich
hechelnd neben ihm nieder.
Zwei Stunden
später riss sich Emilia ihre feuchte Kappe herunter und wedelte sich damit Luft
zu: „Was zum Teufel ist nur mit dem Wetter los? Als wäre die Welt ein einziger
Ofen. Wenn das so weitergeht, werden wir noch gebacken wie die Brathähnchen. Im
Juli lasse ich mir das ja noch eingehen, aber Anfang Mai, mitten im Gebirge?
Was gäbe ich jetzt für eine frische Brise und etwas Regen!“, rief sie
pathetisch. Die Stute schien ihre Meinung zu teilen. Sie scharrte mit dem Huf
und stieß ihren Kopf heftig auf und ab.
„Mit einer
frischen Brise kann ich nicht dienen, aber was hältst du von einem Bad?“, schlug
Serafina vor. „Ich erkenne vorne die Ausläufer eines Tannenwäldchens. Und die
blasse Rinne da oben zwischen den Felsen sieht mir sehr nach einem kleinen
Wasserlauf aus. Er hält auf die Bäume zu. Auf, sehen wir nach.“ Serafina
spornte ihr Maultier an und zog an Emilias Stute vorbei.
Die
spärliche Schonung spendete kaum Schatten, doch der kleine Gebirgsbach sandte
ihnen sein munteres Murmeln entgegen und lockte sie mit seiner Frische. Sie
rissen sich die Kleider vom Leib und wateten ohne Verzug hinein.
„Herrlich!
Ich hatte schon völlig vergessen, wie sich Kühle anfühlt“, meinte Emilia. Sie
streckte sich lang aus und tauchte ihren Kopf unter, um den Staub der Reise
abzuspülen. Nur ihr Gesicht ragte wie ein Spiegel aus dem Wasser, während ihre Locken
ihren weiß leuchtenden Leib wie schwarze Lianen umflossen.
Serafina wusch
sich ebenfalls ihr Haar. Lediglich mit ihrem Hemd bekleidet, kniete sie am Ufer
und drückte es aus. Anschließend
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