Das Hexenmal: Roman (German Edition)
musste er sich aber auch eingestehen, dass er heute nicht ungern nach Hause ging, wusste er doch, dass die junge Gudrun wieder bei den Kindern sein würde. Gedankenverloren starrte Otto in seinen Bierkrug. Wenn er mit seinen Saufkumpanen über Weibsbilder tratschte, dann nur darüber, wie gut oder schlecht sie ihre Männer befriedigten. Denn nach ihrem Verständnis waren Weiber nur dazu da, dem Manne den Druck aus den Lenden zu nehmen. Gefühlsduselei war ihnen und vor allem Otto fremd. Doch nun war etwas mit ihm geschehen, das er nicht deuten konnte und über das er sich hüten würde, mit jemandem zu reden.
Seit Gudrun das erste Mal die Kinder beaufsichtigt und dabei mit ihm gesprochen hatte, fühlte er sich zu ihr hingezogen. Beim Klang ihrer Stimme stellten sich ihm die Nackenhaare auf, und irritiert hatte er seither jedes weitere Zusammentreffen vermieden. Doch seltsamerweise zog sie ihn magisch an, und ihre Wirkung auf ihn steigerte sich zusehends. Die Knie wurden ihm weich, und sein Herz begann laut zu pochen, sobald er nur wusste, dass sie im Haus war.
Otto lächelte in sich hinein und gestand sich ein, dass Gudrun ein Geschöpf war, wie es sich ein Mann wünschte. Sie war stets gut gelaunt, und ihre Augen sprühten vor Tatendrang. Ihre Gestalt war genau so, wie man es sich erträumte. Zwischen ihren Schenkeln zu liegen …
Doch er hielt inne, obwohl sich bereits alles in ihm regte. Gudrun schien ihm etwas Besonderes, und es würde ihm wie eine Sünde erscheinen, sie zu seinem Vergnügen zu besteigen.
›Otto‹, dachte er grinsend, ›du musst sterbenskrank sein! Anders kann man das nicht erklären.‹
Bei Katharina hingegen hätte er keine Hemmungen. Wenn sie ihn in ihr Bett lassen würde, wäre er im selben Augenblick über ihr.
»Es ist Zeit, dass der Tag der Hochzeit endlich benannt wird,
schließlich sind genügend Wochen seit der Beerdigung verstrichen«, grummelte er leise.
Otto leerte den Krug, bezahlte und machte sich auf den Weg nach Hause, um die Arbeiten der Keramikmalerin zu begutachten.
Als Otto aus der Werkstatt in den Wohnflur trat, war es ungewöhnlich still im Haus. Rasch ging er in die Schlafstube seines Schwiegervaters.
Dort standen ein Mönch und ein großer grauhaariger Mann vor dem Bett des Kranken. Einige Schritte vom Bett entfernt beobachtete Barbara Jacobi das Geschehen und blickte erschrocken auf, als ihr Schwiegersohn das Zimmer betrat. Bevor Otto etwas sagen konnte, bedeutete ihm Barbara jedoch zu schweigen. Stumm stellte er sich neben sie und sah zu, was im Krankenzimmer vor sich ging.
Der Fremde, der mit Ketten behangen war, fuchtelte mit einem gekrümmten Stab über Albert, der seinerseits den Mann mit ängstlichen Augen beobachtete. Die Worte, die der Grauhaarige sprach, klangen fremd und hart. Derweil hielt der Mönch die Hände vor dem Gesicht gefaltet und die Augen geschlossen. Mehrfach bekreuzigte er sich und murmelte leise Worte. Auf Otto wirkte das Ganze unheimlich und lächerlich zugleich.
Nach einer Weile nickte der Fremde dem Mönch zu, der sich daraufhin an das Bett stellte und dem Kranken die Hand auf die Stirn legte. Flüsternd sprach er mehrere Gebete. Währenddessen winkte der grauhaarige Mann Barbara zu sich.
»Ich möchte Euch sprechen.«
Sie führte ihn, gefolgt von Otto, in die Wohnstube.
»Ihr sagtet, dass Euer Mann seit der Beerdingung Eurer Tochter krank daniederliegt?«
Barbara bejahte.
»Ich denke, dass dieses schlimme Schicksal ihm das Kreuz gebrochen hat …«
»Wer seid Ihr, um das wissen zu können?«, fragte Otto und gab sich keine Mühe, seine Zweifel zu verbergen.
»Man nennt mich Barnabas, den Magier. Ich bin bekannt als Volksheiler. Der Mönch ist mein Wegbegleiter, Bruder Servatius. Wir sind auf der Durchreise und erfuhren unterwegs von dem Leid des Kranken. Wir möchten unsere Hilfe anbieten und kamen deshalb in Euer Haus …«
»Wie könnt Ihr jemandem helfen, dessen Kreuz angeblich gebrochen ist?«, fragte Otto und fügte misstrauisch hinzu: »Mit gebrochenem Kreuz kann niemand weiterleben!«
Barnabas bedachte den Mann mit einem nachdenklichen Blick und erklärte: »Ich habe im Krieg lange Zeit Verletzte versorgt und kenne gebrochene Wirbel. Auch weiß ich, dass man sofort tot ist, wird einem Menschen das Kreuz gebrochen. Mein Urteil ist sinnbildlich gesprochen – für das einfache Volk. Doch da ich sehe, dass ihr ein wissender Mann seid, werde ich es medizinisch erklären. Dem Mann sind Wirbel verschoben und
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