Das Hexenmal: Roman (German Edition)
andere nichts wusste – die Wahrheit über Johanns Vater. Gäbe er dieses Geheimnis preis,
würde das jedoch Anneroses Andenken schaden. Für Bonner aber wäre es ein herber Schlag zu erfahren, dass er den Sohn eines Schäfers großgezogen hatte. Lambrecht rang mit sich. Doch die Erinnerung an seine Schwester wog schwerer als die Genugtuung, Bonner die Wahrheit entgegenzuschleudern. Und so schwieg er, nahm seinen Hut und sagte: »Ich werde Annerose in allen Ehren bestatten, das schwöre ich dir.«
»Selbstmörder werden am Friedhofsrand verscharrt.«
»Wage es nicht, Casper, den Leuten Schlechtes über deine Frau zu erzählen, sonst werde ich dafür sorgen, dass du nach deinem Ableben irgendwo verscharrst wirst und in der Hölle landest.«
So gehässig und respektlos Bonner auch andere Menschen behandelte, so war er doch ein tiefgläubiger Mann, und die Worte des Pfarrers trafen ihn. Er wusste, dass ein Sünder wie er es schwer haben würde, durch die Himmelspforte gehen zu dürfen. Sein sündhaftes Handeln versuchte er durch großzügige Spenden wieder auszugleichen. Ohne kirchlichen Beistand irgendwo begraben zu werden aber bedeutete Fegefeuer, und das wäre fast so schlimm wie die Hölle. Das war ihm klar. Deshalb sagte er nun bemüht ruhig: »Sobald Annerose beigesetzt ist, werde ich mich auf den Weg machen und nach Johann suchen. Ich werde den Jungen zurückholen, denn er gehört hierher auf den Hof seines Vaters. Und dieser Hexe, mit der deine Schwester gewiss unter einer Decke gesteckt hat, wird der Prozess gemacht werden.«
Lambrecht sah seinen Schwager an und lachte plötzlich laut auf. Und mit jedem weiteren Wort, das Bonner sprach, wurde sein Lachen lauter. Der Pfarrer konnte nicht an sich halten und verließ eilends das Haus. Selbst als er auf sein Pferd stieg, lachte er noch, und Tränen liefen ihm über die Wangen.
Bonner stand hinter den runden Butzenscheiben in der Stube und sah ihm kopfschüttelnd nach: »Jetzt ist der Pfarrer von Tastungen verrückt geworden!«
Zur gleichen Zeit machte sich ein Pferdegespann von Dingelstedt auf den Weg zum Hülfensberg. Ein ärmlich gekleideter Bauer mit einem breitkrempigen Hut, den er tief ins Gesicht gezogen hatte, saß vorn auf dem Kutschbock. Besorgt sah er zu dem Mann, der auf der Ladefläche des Wagens im dichten Stroh lag. Sein gesamter Körper war mit hellem Leinen verhüllt, und sogar sein Gesicht war mit Stoff bedeckt, als habe er eine ansteckende Krankheit.
Nur zwei Stunden später ließ ein einzelner Reiter Dingelstedt hinter sich und schlug den Weg ein, den zuvor das Pferdegespann genommen hatte, denn auch sein Ziel war der Hülfensberg. Gerade rechtzeitig – denn so begegnete er der Kutsche nicht mehr, die kurz darauf aus dem Ort ebenfalls auf die Straße Richtung Süden bog. Die beiden Fahrgäste hatten sich wenig zu sagen und hingen beide ihren Gedanken nach. Doch etwas hatten sie gemeinsam – sie hofften auf Veränderung. Die Frau erhoffte Vergebung und ein glückliches Dasein. Der Mann hingegen wünschte sich ein zügelloses Leben in Saus und Braus.
Kapitel 39
Nachdem in Worbis fast jeder Winkel nach Burghard abgesucht worden war, erfuhr Barnabas von einem Wanderer, der sein Zelt neben dem seinen aufschlug, dass er in Dingelstedt einen Franziskaner gesehen habe. Da die Beschreibung auf Burghard passte, machten sich der Magier und Servatius noch am selben Tag auf den Weg in besagtes Städtchen.
Kaum angekommen, klopften sie an jede Tür und fragten nach Burghard. Tatsächlich konnte sich fast jeder an den bettelnden Mönch erinnern, doch die Frage, wo er sich jetzt aufhielt, wusste niemand zu beantworten.
»Er war eines Tages einfach nicht mehr da«, erklärte eine Frau, die ein schreiendes Kind auf dem Arm hielt.
Erschöpft von der sengenden Hitze hatten sich Barnabas und Servatius in den Schatten eines großen Baumes geflüchtet, als sie einen alten Mann bemerkten. Im Vorbeigehen musterte dieser sie zunächst kritisch, grüßte dann jedoch freundlich. Als der Alte schon fast an ihnen vorbeigegangen war, rief Barnabas ihm nach, er möge warten. Der Magier fragte auch ihn nach Burghard, und der Alte erinnerte sich tatsächlich an den jungen Mönch und gab bereitwillig Auskunft. Lachend erzählte er, dass der junge Franziskaner genau an derselben Stelle gerastet habe wie sie. So habe er erfahren, dass Burghard nach Heiligenstadt wandern wollte.
Dankbar für diese Auskunft, drückte Barnabas dem Mann großzügig ein kleines
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