Das Hexenmal: Roman (German Edition)
sich für den Rest des Lebens an seiner Seite vorstellen konnte. Wenn er hingegen an Franziska dachte, fingen seine Augen zu leuchten und seine Wangen zu glühen an. Ihr flammendes Haar, ihre sanft blickenden
Augen, die je nach Laune von dunklem Tannengrün bis hin zu hellem Moosgrün wechseln konnten, machten sie zu einem der schönsten Mädchen weit und breit. Johann liebte ihre feine, kleine Nase ebenso wie die vielen Sommersprossen, die sich auf dem schmalen Nasenrücken drängten. Ihre weiche Stimme verursachte ihm Gänsehaut, und ihre dunkelroten Lippen weckten unkeusche Gedanken und raubten ihm Schlaf und Verstand.
›Lieber Gott‹, dachte Johann, ›sie will ich als Weib haben, keine andere. Und Onkel Lutz muss mir helfen, dass sie mein werden darf.‹
Als er an die Pforte des Pfarrhauses klopfte, spürte er Zweifel in sich aufsteigen. Was, wenn der Onkel böse auf ihn war, weil er in letzter Zeit die Kirche nur unregelmäßig besuchte? Was, wenn auch er kein Verständnis für seine Wünsche aufbringen würde? Doch zur Umkehr war es zu spät. Er hörte, wie die Haushälterin den Schlüssel umdrehte und die Tür geöffnet wurde. Wortlos ließ sie ihn eintreten und wies ihm den Weg in den Garten, wo der Oheim die Hühner fütterte. Als dieser den Neffen kommen sah, fragte er besorgt: »Ist zu Hause etwas passiert?«
Stumm schüttelte Johann sein Haupt und schaute betreten auf seine staubigen Füße. Lutz gab ihm Zeit, um sein Anliegen vorzubringen doch als der Bursche nichts sagte, meinte er: »Willst du Buße tun?«
Erstaunt hob Johann den Blick. Nein, das hatte er nicht vorgehabt. Doch, wenn er es recht bedachte … Vielleicht war dies der einfachste Weg, Bedauern über die versäumten Gottesdienste zu äußern und gleichzeitig sein Vorhaben so vorzubringen, dass der Onkel keine andere Wahl hatte, als ihm zu helfen, seinen Wunsch den Eltern vorzutragen. Bevor sein Oheim es sich anders überlegen konnte, nickte er.
»Ja, Onkel, ich möchte Gott um Vergebung bitten.«
Lutz Lambrecht war ein weiser und gerechter Mann. Viele
Jahre Erfahrung hatten ihn gelehrt, seine Gesprächspartner genau zu beobachten. Nicht das, was der Mensch sagte, war für den Pfarrer wichtig. Bedeutungsvoller war, wie dieser sich bewegte, was seine Körperhaltung ausstrahlte, was er mit seinen Händen tat, was sein Gesicht verriet. Das gesprochene Wort konnte unwahr sein, doch die Gestik sagte meist die Wahrheit. Aus der Haltung seines Neffen erkannte er, dass ihn ein größeres Anliegen bedrängte als eine einfache Abbitte, weil er zu häufig den Gottesdiensten ferngeblieben war. Lutz konnte sich nicht erinnern, von seiner Schwester bei ihrem letzten Plausch Besorgniserregendes gehört zu haben. Annerose hatte ihn nur gebeten, Johann zur Rede zu stellen, damit der Junge den Weg zu Gott nicht aus den Augen verlieren würde. Dass der Bursche von selbst gekommen war, empfand der Pfarrer als gutes Zeichen. Dass der Neffe ihm jedoch nicht in die Augen blicken konnte und nervös an seinem Hemd nestelte, ließen ihn schnell vermuten, dass der Anlass des Besuches einen ernsten Grund hatte. Lambrecht dachte einen Moment nach und sagte dann lächelnd: »Es ist ein solch schöner Tag! Warum sollten wir die letzten Sonnenstrahlen nicht genießen und uns stattdessen in die dunkle, kühle Kirche setzen. Weil du außerdem sicherlich das Abendmahl im heutigen Gottesdienst verpasst hast, schlage ich vor, dass du mir hier im Garten bei einem kühlen Glas Apfelsaft dein Sündenbekenntnis anvertraust.«
Johann blickte irritiert auf. Lutz, die Gedanken des Jungen ahnend, erklärte: »Man kann überall sein Gewissen erleichtern. Hauptsache ein Vertreter Gottes ist dabei.«
Zufrieden nickte der Bursche. Lutz ging, um seiner Haushälterin Anweisung zu geben. Als sie das Getränk auf den groben Holztisch stellte, bat er: »Wir möchten die nächste Zeit nicht gestört werden. Johann und ich haben wichtige Dinge zu bereden.«
Frau Maifart grummelte vor sich hin, sagte jedoch kein Wort.
Erst als der Pfarrer hinzufügte: »Und schließt das Küchenfenster und die Tür!«, sah sie Lamprecht griesgrämig an und wollte etwas erwidern, doch sein Blick hielt sie davon ab. Er wusste nur zu gut, dass es ihr großes Vergnügen bereiten würde, sein Gespräch mit dem Neffen sofort auf der Straße zum Besten zu geben. Mehrfach hatte es deutliche Worte im Pfarrhaus gegeben, wenn Lutz erfahren musste, dass über vertrauliche Gespräche aus seinen Räumen
Weitere Kostenlose Bücher