Das Hexenmal: Roman (German Edition)
ihres Bruders und versuchte ihn umzustimmen.
»Es würde mich freuen, wenn du mich begleiten würdest. Wir beide kennen Erfurt noch nicht, obwohl Magdalena schon seit
einem Jahr dort wohnt. Es muss eine schöne Stadt sein. Außerdem möchte ich etwas mit dir bereden, und auf der langen Reise hätten wir die beste Gelegenheit dazu.«
»Ja, die Stadt würde mich interessieren, natürlich würde ich auch gern unsere Base wiedersehen, aber im Moment habe ich dafür keine Zeit. Hat die Unterredung nicht Zeit, bis du wiederkommst, Anna? Vielleicht habe ich dir dann auch etwas mitzuteilen …«
»Hast du etwa ein Mädchen kennengelernt?«, fragte sie und strahlte ihn an. Doch Clemens kratzte sich nur verlegen am Kinn.
»Ich muss dich enttäuschen, Schwesterherz. Es hat mit etwas anderem zu tun. Aber da ich noch nichts Genaues weiß, werde ich mich hüten, dir etwas zu erzählen.«
Nun verzog Anna die Lippen zu einem Schmollmund. Lachend biss Clemens in ein Stück Käse.
»Wenn du zurück bist, können wir über alles sprechen. Doch jetzt fahr erst einmal zu Magdalena. Weiß sie, dass du sie besuchen möchtest?«
»Nein, natürlich nicht. Ich habe mich kurzerhand entschlossen, zu ihr zu fahren. Ich werde sie überraschen. Sie feiert in drei Tagen ihren zwanzigsten Geburtstag.«
»Sicher wird ihr Ehemann eine Überraschungsfeier ausrichten. Da passt es wunderbar, dass du zu ihr reist.«
»Ja, das glaube ich auch. Joachim wird sie, wie immer, auf Händen tragen und ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen«, sagte Anna mit Melancholie in der Stimme.
Nachdenklich musterte Clemens seine Schwester.
»Höre ich da etwa Neid? Das hättest du auch haben können, Anna«, meinte er zärtlich.
Ihre großen blauen Augen füllten sich langsam mit Tränen.
»Willst du mir meine Entscheidung vorhalten?«, flüsterte sie und konnte kaum ein Schluchzen unterdrücken.
»Um Himmels willen, nein. In deiner damaligen Lage hast du wahrscheinlich richtig gehandelt«, versuchte Clemens seine Schwester zu trösten, »doch was damals galt, muss heute nicht mehr gelten.«
»Das hat er auch gemeint.«
»Wer?«
»Friedrich!«
Wissend nickte Clemens. Er ahnte, dass der junge Arzt seine Schwester liebte, seit Kindertagen nicht aufgehört hatte, sie zu lieben. In Clemens’ Erinnerungen hallten noch die Gespräche nach, in denen es um eine Drachenschuppe und ein Lied ging.
»Wann hast du ihn gesehen?«
Anna erzählte dem Bruder von ihrer Unterhaltung mit dem jungen Arzt und dem Grund seines Besuches vor zwei Tagen. Ihre eigenen Gefühle und Gedanken verriet sie nicht. Sie brauchte Zeit, viel Zeit zum Nachdenken, bevor sie sich dem Bruder anvertrauen konnte. Sie musste Argumente sammeln, um ein Gespräch mit Clemens zu bestehen.
Clemens umarmte seine Schwester und hielt sie für einige Sekunden fest. Dabei wiegte er sie wie ein kleines Kind. Er hatte sich längst gewundert, warum er sie nicht mehr singen hörte, nun ahnte er den Grund. Die Spannungen zwischen ihr und ihrem Mann schienen ihr auf die Stimme zu schlagen. Clemens war froh, dass Anna für einige Tage aus dem Haus sein würde. So brauchte er sich um sie keine Sorgen zu machen und auch keine Rücksicht zu nehmen.
Vielleicht, überlegte er, könnte es hilfreich sein, wenn er Friedrich in seine Pläne miteinbeziehen würde.
Anna schloss die Augen. Die Geschwister waren sich fremd geworden, seitdem Wilhelm Münzbacher versucht hatte, einen Keil zwischen sie zu treiben. Doch Anna schwor sich in diesem Augenblick, dass nichts sie jemals wieder gegeneinander aufbringen würde.
Sie strahlte ihren Bruder an und küsste ihn auf die Wangen.
»Ich werde jetzt packen. In zehn Tagen komme ich zurück, und dann wird sich einiges in diesem Haus ändern.«
›Vielleicht sogar schon früher‹, dachte Clemens und sah ihr gedankenverloren hinterher.
Kapitel 10
Johann ging, nein, er hüpfte voller Freude zu seinem Onkel, dem Pfarrer Lutz Lambrecht, nach Tastungen. Zwar hatte er ihn schon vor zwei Wochen aufsuchen wollen, doch der Vater hatte Johann immer neue Arbeiten aufgetragen, sodass er keine Zeit gehabt hatte, sich früher auf den Weg zu machen. Lambrecht wohnte eine gute Stunde von Hundeshagen entfernt, und deshalb blieb Johann unterwegs genügend Zeit zum Nachdenken. Es widerstrebte ihm, Franziska alleinzulassen, denn seit Franziska ihm ihre Liebe gestanden hatte, verbrachte Johann jede freie Minute nur mit ihr.
Lächelnd schüttelte er den Kopf. Nein, damit hatte er wahrlich
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