Das Hexenmal: Roman (German Edition)
sonst unglaubwürdig wirkt.«
»Aber, Onkel Lutz, du kennst Vater. Er wird mir überhaupt nicht zuhören wollen. Wohl eher lässt er die Hundepeitsche sprechen«, stöhnte Johann.
Lambrecht kannte den Jähzorn seines Schwagers. Das war einer der Gründe, warum er seine Schwester nur noch in der Kirche sah. Früher war er gern zu Gast im Hause seiner Schwester Annerose gewesen. Doch schon bald konnte er die Besserwisserei ihres Mannes und dessen Häme anderen Menschen gegenüber nicht mehr ertragen. Als die beiden Kinder, Johann
und Karoline, alt genug waren, um am Esstisch Platz zu nehmen, verging nicht ein Sonntag, an dem Casper Bonner die Seinen nicht ständig unangenehm maßregelte. Deshalb blieb Lutz irgendwann dem sonntäglichen Essen fern. Wie, fragte er sich manchmal, konnte seine Schwester nur mit diesem Mann leben? In ihrem gemeinsamen Elternhaus, erinnerte er sich, war es keineswegs nur gesittet und respektvoll, sondern auch fröhlich zugegangen.
Casper Bonner machte weder eine stattliche Figur, noch war er mit einem markanten Gesicht gesegnet. Aber er hatte Geld. Annerose hatte sich anscheinend von Bonners Vermögen blenden lassen und seinen wahren Charakter nicht erkannt. Schon als kleines Mädchen hatte Annerose sich für etwas Besseres gehalten und die meisten jungen Männer des Ortes verschmäht, weil diese in ihren Augen ihrer unwürdig waren. Ganz besonders einer hatte ihr den Hof gemacht, doch der war leider nicht so reich wie Bonner gewesen. Macht und Geld waren für die junge Annerose wichtiger als alles andere.
Doch was hatte es ihr gebracht? Mit der Hundepeitsche würde der Vater seinem Sohn auf sein Gesuch antworten … Und die Mutter würde wie immer schweigen.
Lutz Lambrecht spürte, wie Zorn in ihm aufstieg, und lenkte seine Gedanken schnell zurück zu Johann. War sein Neffe mit seinen neunzehn Jahren reif genug, um beurteilen zu können, ob das Mädchen die Richtige war? Spielte ihm momentan nicht eher das schöne Gefühl in seinen Lenden einen Streich? Was wäre in einem Jahr, wenn Alltag Einzug gehalten hätte und die Liebe sich nicht mehr in den Vordergrund drängte? Durfte er, Lutz Lambrecht, sich überhaupt in etwas einmischen, was nur die Eltern und den Jungen betraf? Nachdenklich schaute der Pfarrer zum Himmel, als ob dort eine Antwort geschrieben stünde.
»Johann, ich würde dir gern helfen, aber ich sehe keine Möglichkeit,
dies zu tun. Nur du allein kannst mit deinen Eltern über deine Absicht sprechen. Wenn ich mich einmischen würde, könnte das eher nachteilig für dich sein und deinen Vater noch mehr verärgern.«
»Aber du bist doch der Pfarrer. Dir müssen sie zuhören, und dir werden sie nicht ins Wort fallen oder dich strafen.«
»Johann, du willst, dass man dich als heiratsfähigen Mann beurteilt. Dann jammere nicht wie ein kleiner Junge, der eine Scheibe eingeschlagen hat.«
Johanns Augen glitzerten vor Wut und Scham. Er wäre am liebsten aufgesprungen und gegangen, doch damit hätte er nur das bestätigt, was sein Onkel gesagt hatte.
»Ich mache dir einen anderen Vorschlag, Johann. Sprich mit deinen Eltern, und sollten sie dir weder zuhören wollen noch Verständnis aufbringen, dann sage es mir, und ich werde versuchen, sie umzustimmen. Das ist das Einzige, was ich dir anbieten kann.«
Johann seufzte tief.
»Danke, Onkel Lutz, dass du mir zugehört hast und mich verstehst. Ich denke, dass du Recht hast und ich allein mit meinen Eltern reden muss, damit sie die Ernsthaftigkeit meiner Heiratsabsicht erkennen können.« Johann stand auf und drückte seinem Oheim die Hand.
»Ich würde mich freuen, wenn du mir deine Braut bald vorstellst«, sagte Lutz zum Abschied mit einem Augenzwinkern.
Sofort schoss das Blut in Johanns Wangen, doch der Glanz in seinen Augen verriet die Freude über diesen Wunsch.
Auf dem Weg nach Hause fühlte sich Johann bestärkt und nahm sich vor, schnellstmöglich mit seinen Eltern zu sprechen.
Knapp eine Woche später machte sich Lutz Lambrecht voller Sorge auf den Weg zu seiner Schwester nach Hundeshagen.
Ohne das Gewand zu wechseln, hatte er selbst sein Pferd gesattelt, Karoline hinter sich auf den Rücken des Wallachs gesetzt und dem Gaul mit den Fersen in die Flanke getreten. Schnaubend war das Pferd losgaloppiert. Querfeldein, den kürzesten Weg nehmend, hoffte Lutz, nicht zu spät zu kommen. Die Hitze und der dunkle Talar trieben ihm den Schweiß aus den Poren. Noch immer weinend, klammerte sich Karoline an ihn. Der
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