Das Hexenmal: Roman (German Edition)
blieb, wurde er im Schreiben, Lesen und Allgemeinwissen unterrichtet. Das Lernen bereitete ihm große Freude, und alles Neue sog er wie ein trockener Schwamm in sich auf.
»Er ist wirklich ein besonderer Schüler!«, war die Meinung der beiden älteren Mönche, wenn sie die raschen Fortschritte des Jungen beobachteten.
Allerdings ging der regelmäßige Schlafentzug über Burghards Kräfte, und so kam es des Öfteren vor, dass er über den Mahlzeiten einschlief.
Aber in Bruder Kuno und Bruder Paschalis sowie in dem Guardian des Klosters, Bruder Ruppert, hatte er verständnisvolle Lehrer gefunden, die ihn von so mancher Pflicht entbanden, damit er lernen und sich anschließend ausruhen konnte. Die drei Männer hatten den Jungen in ihr Herz geschlossen und schätzten seine höfliche, ruhige Art. Kam er zu ihnen, huschte ein Lächeln über ihre vom Alter gezeichneten Gesichter. Auch
Burghard hatte Vertrauen zu den drei Mönchen gefasst, die ihm Wärme und ein bisschen Heimat hinter den dicken Klostermauern gaben.
Indes wurde diese Sonderbehandlung von einem anderen Glaubensbruder mit Argwohn beobachtet. Bruder Servatius befürchtete, dass er wegen Burghard die Gunst von Bruder Kuno und Bruder Ruppert verlieren könnte. Bevor der Junge ins Kloster gekommen war, hatte Servatius die ungeteilte Aufmerksamkeit der beiden Brüder erhalten. Das gemeinsame Interesse an der Sternenkunde hatte sie miteinander verbunden, und so manche angeregte Diskussion war das Ergebnis gewesen. Doch jetzt fühlte Servatius sich von den älteren Mönchen vernachlässigt und gab dem Jüngeren die Schuld dafür. Immer öfter hatten Bruder Kuno und Bruder Ruppert keine Zeit für ihn, da sie nun ihr Wissen an Burghard weitergaben.
Servatius entging nicht die liebevolle Behandlung, die sie ihrem Schützling angedeihen ließen, und jedes Mal, wenn er Zeuge ihres Wohlwollens wurde, funkelten seine dunklen Augen böse. Vor Wut auf den unbedarften Jungen und über den Verlust der fast väterlichen Liebe vergoss er heimlich viele Tränen. Servatius hatte nie gedacht, dass es einmal so kommen könnte, und er stand der Situation und vor allem seinen eigenen, verwerflichen Gedanken hilflos gegenüber. Immer mehr beherrschten ihn das Gefühl der Eifersucht und der Wut, und obwohl er wusste, dass solche Gefühle nicht gestattet waren, gelang es ihm nicht, diese zu unterdrücken. Von Tag zu Tag nagten sie mehr an ihm, und so begann er, den jungen Bruder zu verachten und ihm aus dem Weg zu gehen. Doch dann bestimmte ihn Bruder Ruppert ebenfalls als Lehrer für den Jungen, und fortan musste er mehr Zeit mit Burghard verbringen, als ihm lieb war.
Doch Servatius war ein raffinierter Taktiker. Nach außen spielte er den besorgten, wohlwollenden Lehrmeister. Waren
die älteren Brüder anwesend, so glaubten sie, dass Servatius das Wohl seines Schützlings am Herzen lag. Freundlich nickend, verfolgten Ruppert und Kuno die Unterrichtsstunde und waren mit den Fortschritten des Jüngeren mehr als zufrieden. War Servatius allerdings mit dem Jungen allein, wurden sein Blick finster und der Klang seiner Worte zynisch. Wähnte er sich unbeobachtet, so ließ er keine Gelegenheit aus, um dem jungen Bruder das Leben zu erschweren und ihn seinen Hass spüren zu lassen. Aber Burghard war zu unbedarft und zu gutgläubig, um in Servatius etwas anderes als einen Freund zu sehen, und glaubte, dass dieser es nur gut mit ihm meinte.
Als der nächste Frühling anbrach, hatte Bruder Kuno geplant, mit seinem Schützling Burghard wieder übers Land zu ziehen. Doch eine schwere Erkältung, die ihn mehrere Wochen ans Bett gefesselt hatte, und der Husten, der ihn noch immer plagte, hatten den alten Mann geschwächt und veranlassten ihn, die Reise abzusagen. Als man dem Jungen mitteilte, dass er im Kloster bleiben müsse, verriet sein trauriger Blick seine Gefühle. Schließlich hatte er sich seit mehreren Wochen auf den Besuch bei seinen Eltern gefreut. Mit hängenden Schultern schlich er durchs Kloster, denn die Sehnsucht nach seiner Familie war groß.
Bruder Kuno tat dieser Anblick im Herzen weh, und so besprach er sich mit dem Guardian und seinem Bruder Paschalis.
Sie beschlossen, dass ein anderer, vertrauenswürdiger Bruder Burghard in seine Obhut nehmen und mit ihm auf Wanderschaft gehen sollte. So würde Bruder Kuno sein Versprechen doch noch einlösen, und der Junge könnte seine Familie wiedersehen. Als Kuno dem jungen Mönch davon berichtete, strahlte er über das ganze
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