Das Hexenmal: Roman (German Edition)
immer riesig erschienen. Barnabas war von ebenso hagerer Gestalt, aber nicht so dürr. Auch konnte man an Barnabas’ Oberarmen kleine ovale Muskeln erkennen, die sich unter dem Kittel abzeichneten, wenn er sich auf seinen Gehstock stützte. Seine Arme waren vom Handrücken an mit dicken Sehnen überzogen, und seine langen, dünnen Finger schmückten Ringe mit verschiedenen bunten Steinen. In einem Holzgestell, das er auf seinem Rücken trug, vermutete Burghard seine Habseligkeiten. Viel schien er nicht sein Eigen zu nennen, denn er trug die Last mühelos.
Obwohl er sich wie die Franziskaner auf Wanderschaft befand, unterschied die drei Männer etwas Wesentliches, das Burghard sofort aufgefallen war.
Es waren Barnabas’ Haare und seine Kleidung. Gepflegt fiel seine dichte, graue Haarpracht in leichten Wellen bis auf die Schultern. Er hatte sie sorgsam aus dem Gesicht nach hinten gestrichen und einzelne Strähnen hinter das Ohr geklemmt. Ein länglicher Ohrring schmückte das rechte Ohr.
Auf dem hellgrauen Kittel des fremden Wegbegleiters konnte der Junge nicht einen Fleck entdecken, und seine Kleidung verströmte einen frischen, leicht blumigen Geruch.
Auch schien er nicht unter Juckreiz zu leiden, denn im Gegensatz zu Burghard und Servatius kratzte er sich nie. Die beiden Mönche dagegen plagten schon seit Wochen Läuse und anderes Ungetier, das sich nicht nur auf ihren Köpfen eingenistet hatte. Fortwährend mussten sie sich auch an allen möglichen Stellen ihres Körpers kratzen. Überall hatten sie kleine entzündete
Wunden, die mit einer gelben Kruste überzogen waren. Teilweise nässten diese sogar. Am liebsten hätte sich der Junge den Habit vom Leib gerissen, um mit aller Kraft gegen das Ungeziefer vorgehen zu können.
Dieser Reisende verwunderte Burghard so sehr, dass er alle Scheu verlor und dichter an Barnabas herantrat, um ihn besser betrachten zu können. Tatsächlich – er hatte glatte, rosige Haut, ohne Pickel und Pusteln. Nachdenklich kratzte sich der Junge wieder im Schritt.
»Dich zwickt es wohl?«, fragte Barnabas. Die Wangen des Jungen röteten sich, und er schaute beschämt zu Boden. Als der Wanderer das bemerkte, lachte er laut auf, und Burghard presste seine Lippen wütend aufeinander. Er hasste es, wenn man sich über ihn lustig machte. Barnabas schien das zu bemerken, denn er entschuldigte sich: »Nichts für ungut, junger Freund. Körperpflege ist das Zauberwort. Saubere Kleidung, Wasser, Seife und frische Luft an allen Stellen deines Körpers. Dann juckt es nicht mehr.«
»Was ist das für ein Unsinn, den du dem Jungen da erzählst? Wir baden nur alle zwei Wochen, wenn überhaupt. Eine Schicht Schmutz schützt schließlich vor den Plagegeistern.«
»Ja, das kann man bei dir wirklich gut beobachten!«, konterte der Wanderer belustigt.
Grimmig riss Servatius an den Führstricken der Esel, damit sie nicht stehen blieben. Die beiden Kaufleute bekamen von dem Gespräch nichts mit, denn sie schnarchten auf dem Karren selig vor sich hin. Burghard ging nun wieder hinter dem Tross, als sich Barnabas zu ihm gesellte.
»Ich wollte dich nicht beschämen, junger Freund, aber was ich sagte, ist wahr. Der Schmutz und Schweiß auf deiner Haut zieht das Ungeziefer an wie Honig die Bienen. Ich bade überall, wo Wasser ist. Nur deshalb bleibe ich verschont von Pusteln und entzündeten Hautstellen.«
Als er das erwähnte, juckte es den jungen Franziskaner fürchterlich, denn er hatte überall offene Kratzwunden.
»Wer bist du, dass du das weißt? In keinem meiner Lehrbücher konnte ich darüber etwas lesen.«
»Ah, du kannst lesen. Sehr gut!«
»Natürlich kann ich lesen, sogar schreiben und rechnen. Im Kloster habe ich die besten Lehrmeister gehabt. Und nun bin ich mit Bruder Servatius auf Wanderschaft, um den Leuten unseren Glauben näherzubringen …«
»… und um nicht zu verhungern!«, warf Barnabas spöttisch ein. Trotzig zuckte der Junge mit den Achseln.
»Jeder, der mit uns teilt, ist dem Himmelreich ein Stückchen näher, sagt Servatius stets.«
Dem Gesagten folgte ein lautes Lachen. Erschrocken sah Burghard zu dem Wanderer.
»Ich hätte darauf gewettet, dass dieser schlaue Satz von deinem Begleiter stammt.«
»Du willst wohl nicht verraten, wer du bist?«, versuchte der junge Franziskaner es erneut.
»Es ist kein Geheimnis. Mein Name ist Barnabas, und ich ziehe von Ort zu Ort.«
»Bist du Kaufmann, oder von was lebst du? Ich kann mir nicht vorstellen, dass du um das tägliche
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