Das Hexenmal: Roman (German Edition)
Zeit muss immer wieder alles auseinandergerissen und gewendet werden, aber auch ruhen. Wenn dieser Gärprozess abgeschlossen ist, muss der Waid restlos trocknen. Nur dann kann der Farbstoff entstehen. Es wird gesiebt, abgepackt und verkauft …«
»… und sieht aus wie Taubenmist. Du würdest nie vermuten, dass man damit Stoffe in wunderschönem Blau einfärben kann«, fügte Magdalena hinzu. Joachim nickte.
»Darf ich mir den Waidspeicher ansehen?«
»Um Himmels willen, Anna, das sieht nicht nur aus wie Mist, das stinkt auch genauso erbärmlich!«, rief Magdalena aus und fügte mit gedämpfter Stimme hinzu: »Man mischt es mit Urin, und sonntags müssen die Fenster vom Waidspeicher sogar geschlossen bleiben, da er sich in unmittelbarer Nähe des Domes und der Severikirche befindet. Bei diesem Gestank kann man unmöglich die Messe besuchen.« Angewidert verzog sie ihr Gesicht, was Joachim lächelnd bemerkte.
An Joachim gerichtet, meinte Anna: »Ich weiß, dass dein Onkel Hiob von Stotternheim einer der größten Waidhändler war …«
»… und einer der reichsten – stinkreich«, fügte Magdalena lachend hinzu. »Er ist erst im letzten März gestorben. Onkel Hiob hat noch das Stotternheimer Palais erbauen lassen, in dem seine Witwe, Tante Martha von Sachsen, nun allein lebt. Sie haben nämlich keine Kinder, die Armen. Aber vielleicht wird sie wieder heiraten, schließlich ist sie noch jung und vermögend. Ich glaube, wenn die Trauerzeit vorbei ist, werden sicherlich einige heiratswillige Männer im Palais vorstellig werden«, sagte Magdalena und lachte ihren Mann aus, der ein säuerliches Gesicht zog.
»Erbschleicher!«
»Daran wirst du nichts ändern können, mein lieber Joachim«, erwiderte seine Frau. Und an Anna gewandt, flüsterte sie: »Du musst wissen, liebe Base, jedes Gewicht in Waid wird mit dem gleichen Gewicht in Gold aufgewogen – da kommt im Laufe eines Lebens einiger Reichtum zusammen!«
»Es ist Zeit, meine Damen. Auch wenn ich eure Gesellschaft sehr genieße, die Pflicht ruft. Bestellt Tante Martha die besten Grüße von mir.«
»Wenn es dir nichts ausmacht, Magdalena, dann würde ich gern etwas ruhen. Ich bin doch sehr erschöpft.«
Nachdenklich sah Magdalena ihre Base an. Irgendetwas stimmte mit Anna nicht. Auch Joachim schien das zu vermuten, denn er blickte fragend zu seiner Frau. Die zuckte zwar leicht mit den Achseln, hatte aber schon einen Plan, wie sie der Base helfen könnte.
Kapitel 14
Nachdem Franziska Johanns Kammer verlassen hatte, packte sie hastig ihre Habseligkeiten zusammen.
Während sie ihr Bündel schnürte, rannen ihr unaufhaltsam Tränen über das Gesicht. Tränen des Mitgefühls für Johann und Tränen der Trauer, weil sie nun das Gut verlassen musste, das ihr seit dem Abschied vom Elternhaus ein Zuhause geworden war.
»Johann«, schluchzte sie und setzte sich auf ihr Lager. Sie vergrub ihr nasses Gesicht in beiden Händen und weinte um den geliebten Freund. Was hatten sie getan, dass der alte Bonner seinen Sohn so bestrafte? In Gedanken sah das Mädchen das geschundene Gesicht ihres Liebsten vor sich. Außer ein paar zärtlichen Küssen hatten sie nichts Unerlaubtes getan. War es wirklich so verwerflich, dass sie sich liebten und Gottes Segen wünschten? Schließlich hatte sie Johann nicht dazu gedrängt. Vielmehr war die gemeinsame Zukunft sein Wunsch gewesen. All ihre Bedenken hatte er aus dem Weg geräumt, und nun lag er mit gebrochenen Rippen und betäubt von Schmerzen danieder. Auch ahnte er nicht, dass Franziska fortgehen musste.
Wenn sie doch nur schreiben könnte! Dann würde sie ihm einige Zeilen zurücklassen, damit er wusste, wo er sie finden konnte. So konnte sie nur hoffen, dass sein Oheim, der Pfarrer Lambrecht, ihm mitteilen würde, wohin sie gegangen war.
Tränen und Trauer halfen nicht weiter. Sie musste sich sputen und endlich den Hof verlassen. Wenn der Großbauer sie immer noch hier antreffen würde, wenn er aus dem Wirtshaus zurück war, gäbe es sicherlich schrecklichen Ärger.
Es war früher Nachmittag, als sie den Hof überquerte. Niemand war zu sehen, da jeder seiner Arbeit nachging. Kurz vor dem Tor kam ihr Johanns vierzehnjährige Schwester Karoline entgegen, die etwas mit einem Tuch bedeckt in den Händen
hielt. Franziska konnte dem Kind nicht ausweichen. Deshalb machte sie gute Miene und fragte freundlich, was Karoline in ihrem Tuch verstecke.
»Ich habe ein Katzenjunges gefunden. Es ist fast verhungert. Ihre Geschwister
Weitere Kostenlose Bücher