Das Hexenrätsel
Hände unter die Klinge legte und sie hochdrückte. Die Schwertspitze lag auf seinem Kinn, und die Klinge wurde noch von seinen Händen berührt.
»Jetzt ist es soweit«, sagte der Hexenmeister. »Ich bin fast mit dem Schwert geboren worden, und ich werde auch mit dem Schwert sterben. Die Klinge und ich haben unser Leben geteilt, so daß wir auch im Tod vereint werden. Setzt mich hin!«
Die Adepten wußten nicht, was ihr Meister meinte, denn in alle Geheimnisse hatte er sie nicht eingeweiht. Sie eilten dicht an das Bett, streckten ihre Arme vor und sorgten dafür, daß ihr Meister sich hinsetzen konnte.
Da saß er nun.
Er spannte sich und schien noch einmal wachsen zu wollen, um den letzten Schritt sicher gehen zu können.
»Die Zeit des Abschieds ist gekommen«, erklärte er seinen Adepten.
»Ihr sollt nicht trauern, sondern froh sein, denn mein Erbe wird weiterleben. Irgendwann einmal wird man sich an mich und das Schwert erinnern, das weiß ich genau, denn die Menschen sind vergänglich, der Geist und die Magie sind es nicht. Es wird viel geschrieben in der Zukunft. Es passieren schreckliche Dinge. Tod, Leid, Kriege und Hungersnöte. Die Pest wird wüten, und die Hexen werden zurückschlagen. Ich aber liege in der kühlen Erde und kann nicht mehr eingreifen. Aber es kommt eine Zeit, wo alles wieder anders wird, daran solltet ihr denken, wenn ihr gleich das seht, was ich vorhabe. Es wird euch vielleicht nicht gefallen, aber es muß sein…«
Der Hexenmeister hatte noch einmal alle Kraft gesammelt, um die Worte sprechen zu können. Nun ließ er Taten folgen.
Er rückte die Klinge noch ein wenig zurecht, so daß die Spitze genau in seinen offenen Mund wies. Das sollte sie auch, denn im nächsten Augenblick verschwand sie im Rachen des Hexenmeisters. Seine beiden Adepten schrien auf. Einer wollte vorspringen und den Meister von seinem Tun abhalten, doch der andere war schlauer und riß ihn zurück.
»Laß es! Er weiß genau, was er tut!«
Ja, er wußte es!
Der Hexenmeister hatte sich lange genug darauf vorbereiten können, und er führte es auch durch.
Der Sterbende drückte das Schwert in seinen Mund!
Eigentlich hätte es an der Rückseite des Kopfes wieder zum Vorschein kommen müssen, vermischt mit Blut und anderen schrecklichen Dingen. Das jedoch war nicht der Fall.
Das Schwert verschwand im Mund des Hexenmeisters und wurde immer weiter hineingeschoben, so daß zuletzt nur noch der Griff hervorschaute. Ein seltsamer Griff. Er bestand aus zwei miteinander verschlungenen Schlangen. Der Hexenmeister winkelte einen Arm an und griff dann zu. Er umklammerte mit der rechten Hand den Schwertgriff, riß seine allmählich brechenden Augen ein letztes Mal weit auf und stieß sich auch den Griff des Schwertes in den Mund.
Die Waffe war verschwunden!
Keiner der Adepten konnte es fassen und begreifen. Tief in den Körper hatte sich der Hexenmeister die Waffe gestoßen, und nicht ein Tropfen Blut war aus seinem Mund gedrungen. Es gab keine Verletzung. Das Schwert, die Klinge, die so oft getötet hatte, tat dem Hexenmeister nichts.
Er war ihr Meister…
Noch lebte er. Die Adepten schauten zu, wie die Arme rechts und links des Körpers auf das Laken fielen. Dann drückte sich der Sterbende in die Höhe. Er bekam seinen mageren Körper eine Handspanne hoch, baute eine Brücke und schaute zu seinen Diener hin. Es war ein letzter Blick. Ein Abschied für immer. Aber der Blick enthielt weder Angst, Traurigkeit oder Schmerz, nur den Triumph, es trotz allem noch geschafft zu haben.
Der Hexenmeister starb als Sieger!
Urplötzlich sackte sein Körper zusammen. Die Muskeln hatten keine Kraft mehr, der Tod war bereits zu nahe an ihn herangetreten, und der Blick des Sterbenden brach.
Er war endgültig aus dem Leben geschieden!
Seine Diener schauten sich an. Sie konnten es kaum glauben und standen minutenlang bewegungslos. Still war es nicht in dem Turmzimmer. Das Donnern der Geschütze und die schweren Einschläge der Kanonenkugeln waren auch hier zu hören. Manchmal zitterte eine Stelle an der Wand, aber sie brach nicht, diese Burg galt als uneinnehmbar, deshalb hatte sich der Hexenmeister auch hierher zurückgezogen.
»Wir müssen ihn in die Truhe legen«, schlug einer der Adepten vor. »Ja, das hat er so gewünscht.«
Die Stimmen klangen monoton Vielleicht war es die Trauer, die die Adepten so reden ließ. Sie hatten sich sehr an ihren Meister gewöhnt, waren die Jahre mit ihm zusammengewesen und hatten ihm die
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