Das Hexenschiff
einfachen Grund. Sie würde ihn nicht entkommen lassen. Mitgefangen, mitgehangen. Wieder einmal traf das Sprichwort zu.
Plötzlich drehte Jerry Malt durch. Er hielt es einfach nicht mehr aus. Mit beiden Fäusten hämmerte er auf den Lenkradring, schrie, tobte und schüttelte den Kopf.
»Verdammt, da muß doch etwas passieren!« brüllte er, wobei seine eigene Stimme in den Ohren gellte. Es passierte auch etwas. Die Hexe kam!
Sie hatte ihrem Opfer bewußt Zeit gelassen, sich auf sie einstellen zu können. Die Schonfrist war nun vorbei. Ihre Kutte schwang, als sie die ersten kleinen Schritte ging, wobei sie die Füße wie trippelnd voreinandersetzte. Auch die Arme blieben nicht ruhig. Die Gestalt schwang das Ruder, und dem Mann wurde klar, was die andere damit vorhatte. Noch besaß er Zeit, so daß er wieder versuchte, den Wagen zu starten. Es tat sich nichts. Der Volvo blieb einfach stehen, weil der Motor nicht mehr mitspielte.
Die Zerreißprobe für Malts Nerven steigerte sich. Jerry schaute nach links.
Dort lag das Gewehr!
Der Karabiner schien ihn aufzufordern. Nimm mich! Los, du mußt schießen! Du hast mich geholt, jetzt kannst du zeigen, daß du dich nicht so einfach fertigmachen läßt.
Die Hand des Vertreters klatschte auf den dunklen Kolben. Fünf Finger griffen zu, als er den Karabiner auf seinen Schoß zog. Er merkte, wie er zitterte.
Verdammt, weshalb zittere ich? fragte er sich. Behalte die Nerven, Junge, dann passiert dir nichts.
Jerry Malt war so sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen, daß er auf die Hexe nicht mehr hatte achten können. Als er wieder durch die verschmierte Scheibe schaute, sah er sie so dicht am Wagen stehen, daß ihre Knie bereits die breite Rammstoßstange des Schwedenautos berührte.
Etwas hatte sich an der Haltung der Hexe verändert. Die Arme schwebten jetzt über dem Kopf, und damit auch die Ruderstange. Im nächsten Augenblick rasten sie nach unten.
Er sah es wie in Zeitlupe. Das Auftreffen des harten Holzes auf das Blech. Die Beule, die entstanden war, und Jerry Malt spürte den Treffer, als hätte man ihn selbst geschlagen. Jetzt war ihm alles egal. Er rammte die Fahrertür auf, angeschnallt hatte er sich nicht, und stürzte aus dem Wagen.
Als er stand, schlug die Hexe bereits zum zweitenmal zu. Diesmal noch härter, und sie hämmerte die Beule tiefer in die lange Kühlerhaube des Volvo.
Noch nie im Leben hatte der Vertreter auf einen Menschen geschossen. Auch jetzt zögerte er einen Augenblick, sagte sich dann, daß er sich in einer Ausnahmesituation befand, und als die Hexe zum drittenmal ausholte, wobei sie sich vorbeugte und gegen die breite Frontscheibe zielte, da drückte der Mann ab…
***
Wir nahmen beide den köstlichen Duft auf. Was bei Glenda Perkins der Kaffee war, das bedeutete für Lady Sarah der Tee. Sie konnte ihn einmalig zubereiten, und sie ließ sich auch genügend Zeit. Da kannte sie kein Pardon. Wer zu ihr kam, Tee angeboten bekam und zu hastig trank, der war bei ihr untendurch. Das wußten auch wir.
Deshalb hielten wir uns an die Spielregeln, obwohl uns eigentlich die Zeit auf den Nägeln brannte.
Zuerst hatte sie mich strafend angesehen, so daß ich schon ein schlechtes Gewissen bekam, denn ich hatte lange nichts mehr von mir hören lassen. Seit dem Abenteuer mit dem Totenvogel nicht mehr. Nun waren wir da und kosteten den Tee. Natürlich lobten wir ihn. Die Horror-Oma strahlte, und ihr Groll war vergessen.
Sie lehnte sich auf dem alten gemütlichen Sofa zurück und spielte mit ihren Ketten, die im halben Dutzend um ihren Hals hingen. »Das finde ich aber nett, daß ihr mich mal besucht. Wolltet ihr nur guten Tag sagen?«
»Auch«, gab ich zu.
Lady Sarah nickte. »Du bist fast ehrlich, mein Junge. Es gibt demnach einen wichtigen Grund.«
»So kann man es sehen, Lady Sarah.«
»Und der wäre?«
»Wikka!«
»Die Hexe?« Plötzlich funkelten ihre Augen. Wenn Lady Sarah etwas über Magie hörte, war sie immer dabei. »Ist sie denn nicht tot? Ich meine, du hättest bei einem Anruf mal davon gesprochen.«
»Müßte sie, doch nun ist etwas passiert, daß uns daran zweifeln läßt.«
»Laß hören.« Die Horror-Oma setzte sich bequem hin und rieb ihre Hände. Ja, sie war in ihrem Element.
Bill und ich wechselten uns beim Bericht ab. Lady Sarah spitzte natürlich die Ohren. Das war genau das, was sie hören wollte. Sie war auf Schwarze Magie festgelegt und sammelte alles, was sie darüber in die Finger bekommen konnte.
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