Das Hexenschiff
Wir vertrauten ihr völlig. Bei Lady Sarah brauchte man nie das Gefühl zu haben, reingelegt zu werden. Ein paarmal nickte sie, flüsterte auch Worte, aber sie störte uns nicht. Zwischendurch tranken wir Tee, und als die beiden Tassen leer waren, da hatten wir alles gesagt.
»Nun sollst du uns helfen«, fügte ich noch hinzu.
Lady Sarah hob die Hand und drückte die Fingerkuppen gegen ihr Kinn.
»Sagt nichts, ich werde allein überlegen! Ha! Ich habe es. Ihr wollt wissen, was es mit dieser Esmeralda auf sich hat.«
»Genau!«
»Ein Schiff, habt ihr gesagt?«
»Sehr richtig!« bestätigte Bill.
»Und aus Wales stammend.«
»Exakt.«
Mit einem Ruck stand Lady Sarah auf. »Das müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn wir es nicht finden würden.«
Wir blieben ebenfalls nicht sitzen, denn wir wußten genau, wo uns Lady Sarah hinführen würde.
In ihr Archiv unter dem Dach.
Es enthielt alles, was sich nur im entferntesten mit Horror und dessen Begleiterscheinungen beschäftigte. Angefangen bei zahlreichen Büchern, bis hin zu den neuesten Video-Produktionen. Dieses Dach war perfekt ausgebaut.
Nur einen Fahrstuhl gab es nicht. Wir mußten die Treppen hochsteigen, wobei uns Lady Sarah mit gutem Beispiel voranging. Die dreifache Witwe war ungemein rüstig. Manchmal wurde mir ihre Energie schon unheimlich.
Der großzügig angelegte Raum unter dem Dach besaß schräge Wände. Es gab keinen freien Fleck mehr. Die zu den Wänden passenden Regale waren vollgestopft mit Büchern, und in einem Regal standen nur Videofilme. Natürlich waren auch die entsprechenden Geräte vorhanden, um die Filme abspielen zu lassen.
Lady Sarah hatte das Archiv eingerichtet, sie kannte sich auch darin aus.
»Ihr sucht also ein Schiff«, sagte sie und runzelte die Stirn. »Mal sehen, vielleicht habe ich da etwas.«
Helle Leuchten schössen ihre Lichtstrahlen gegen die Regale, die von Lady Sarah zielstrebig angeschaut und untersucht wurden. Sie fand, was sie suchte.
Drei Bücher über alte Schiffe zog sie hervor. Sie standen in einem für sie erreichbaren Regalfach. Bill und ich halfen ihr, die Bücher auf einen Tisch zu legen, um den sich eine bequeme Polstergarnitur gruppierte, denn beim Abspielen der Filme wollte Lady Sarah es gern gemütlich haben.
Jeder von uns nahm ein Buch und schaute es durch. Es handelte sich um eine Liste mit den Namen alter Gespensterschiffe. Nicht nur englische waren dabei, auch Boote, die vor Englands Küsten gesunken waren.
Es waren dicke Wälzer. Auch wenn wir zu dritt suchten, würde sicherlich eine Stunde vergehen.
Ich irrte mich, denn Lady Sarah war es, die schon nach sieben Minuten fündig wurde.
»Hier ist es!« rief sie, legte ihr Buch von den Knien wieder auf den Tisch und deutete auf eine bestimmte Stelle.
Bill und ich beugten uns vor. Gemeinsam begannen wir zu lesen. Es ging um die Esmeralda. Ein spanisches Schiff, das an der Küste von Wales gestrandet war. Die Bewohner hatten das Boot gefunden, und sie fanden auch die Ladung.
Es waren Menschen.
Frauen. Sogar Hexen, wie sich später herausstellte. Die Hexen flehten und bebten, sie doch an Land zu lassen, doch die Waliser dachten nicht daran. Sie dichteten zwar das Leck fast vollständig ab, schickten das Schiff dann wieder auf See hinaus und zündeten es sogar an. Die Schreie der Hexen hallten bis an das Ufer.
Sie schworen blutige Rache. Der Legende nach sollte das Schiff samt Inhalt in einen grauen Herbsthimmel gestiegen und in den Wolken verschwunden sein. Angeblich warteten die Menschen noch immer auf die Rückkehr der Esmeralda und auf die Rache der angeketteten Hexen.
»Es scheint wohl zurückgekommen zu sein«, bemerkte Bill, als er sich nach hinten lehnte.
»Das müßt ihr annehmen«, sagte Lady Sarah.
Ich hob eine Hand. »Fragt sich nur, was Wikka mit dieser verdammten Sache zu tun hat?«
Eine Antwort bekam ich nicht. Auch ich konnte mir keine geben. »Wie heißt eigentlich der Ort oder das Dorf, dessen Bewohner sich schuldig gemacht haben sollen?« fragte Bill.
Ich schaute sicherheitshalber noch einmal nach. »Kelgin heißt das Kaff.«
Bill schüttelte den Kopf. »Kenne ich nicht. Ihr etwa?«
Auch Lady Sarah und ich wußten keinen Bescheid. Von einem Dorf namens Kelgin hatte keiner von uns je etwas gehört. Und Wales liegt für manche sowieso am Ende der Welt.
»Wie ich euch kenne, werdet ihr den Walisern einen Besuch abstatte?«
»Richtig, Lady Sarah«, bestätigte ich. »Das werden wir auch. Zumindest Suko und
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