Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen
leicht exzentrische Architektur Anstoß erregen. Ohnehin ist eine Reihe sinnvoller Bauvorschriften zu beachten, die etwa den Brandschutz oder das Abwasser betreffen. Dass es darüber hinaus eine Menge weniger sinnvoller bis überbürokratischer Bauvorschriften gibt, ist ein anderes Thema.
Im Gegensatz zur weitgehend ungebundenen Gedankenfreiheit hat die Handlungsfreiheit also stets Grenzen – nämlich in den Rechten und Freiheiten unserer Mitmenschen. Seien das nun bestimmte Individuen, denen niemand einfach seinen Willen aufzwingen kann, sei das die Allgemeinheit, deren berechtigte Interessen ich durch mein eigenes Handeln nicht in Mitleidenschaft ziehen darf. Anders gesagt: Die Freiheit eines jeden unterliegt dem Zwang, sich im Blick auf die Entfaltungsmöglichkeiten seiner Mitmenschen zu beherrschen. Diese Grenze meiner Freiheit muss ich immer im Auge behalten. Welche Idee ich auch verwirklichen möchte, welchen Plan ich hegen mag – ich muss mir zugleich die Frage stellen, welche Folgen das für andere haben wird. Und weil die Erfahrung nun mal lehrt, dass wir uns hier nicht allein auf die vernünftige Einsicht des Einzelnen verlassen können, gibt es Gesetze. Gesetze sind im Kern nichts anderes als Schutzklauseln: Sie schützen die Freiheitsrechte der Einen vor den Freiheitsansprüchen der Anderen.
Das friedliche Zusammenleben in einer Gesellschaft gelingt nur, wenn es für alle gültige Regeln gibt. Der Mensch ist ein Lebewesen, das letztlich nur in Gesellschaft existieren kann. Selbstredend macht jeder eine ganze Reihe von Dingen allein. Und längst nicht alle unsere Aktivitäten haben unmittelbareFolgen für andere. Zugleich sind wir aber schon in simpelsten Alltagsdingen ständig von anderen abhängig. Das Leben eines Eremiten wäre in unserer modernen Welt mit enormem Aufwand verbunden. Im Übrigen hat der Mensch gemeinsam mit anderen im Lauf der Geschichte Dinge erreicht, die er als eigensüchtiges Individuum nie hätte erreichen können. Der Nutzen in der Gemeinschaft einerseits, für die Gemeinschaft andererseits – und letztendlich auch für den Einzelnen – ist größer, als er dank der Freiheit des Einzelnen allein je sein könnte.
Ein Menschenalter nach dem Ende der nationalsozialistischen, fast ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der kommunistischen Diktatur wird in Deutschland heute eine Generation erwachsen, die einen Alltag in Unfreiheit nie erlebt hat. Selbst bei den älteren Generationen beginnt diese Erinnerung zu verblassen. Zwar macht sich in den letzten Jahren eine ungesunde Skepsis breit, dass in einer Demokratie allgemeine Wahlen tatsächlich entscheidenden Einfluss auf die Politik hätten; dass die Politik zumindest in ihren Grundzügen, wenn auch nicht in jeder tagespolitischen Detailfrage, den Willen der Mehrheit der Wähler abbildet.
Aber die Freiheit, seine wesentlichen Lebensentscheidungen ohne fremden Druck – wenngleich sicher nie frei von äußeren Einflüssen – zu treffen, ist heute für jeden Bürger eine Selbstverständlichkeit. Erst recht gilt das für die vielen kleinen und größeren Entscheidungen unseres Alltags. Eine demokratische Verfassung setzt – wie auch die Marktwirtschaft – darauf, dass der Einzelne am besten weiß, was das Richtige für ihn ist: wie er sich ernährt, ob er sportlich oder bequem ist, was er lernen will und was nicht, welchen beruflichen Weg er gehen möchte, wie er für sich Wohlstand, Lebensqualität und Glück versteht. Und ob er in all dem am Ende auch einen höheren Sinn sehen möchte oder nicht.
Das Recht auf Irrtum
Die Kehrseite der Medaille ist, dass meist die Qual hat, wer die Wahl hat. Angefangen vom täglichen Einkauf über den Bildungsweg und die Karriereplanung bis hin zur Wahl seines Lebensmodells – wer im Wesentlichen alles selbst entscheiden muss, für den mag die Fülle der Optionen gelegentlich auch zur Last werden. Denn Wahlmöglichkeiten bedeuten zugleich, sich falsch entscheiden zu können.
Zum Beispiel ein Produkt zu kaufen, das nichts taugt. In der Schule auf Tauchstation zu gehen und dann keinen Abschluss zu erreichen. Ein Studienfach zu wählen, das keine gute Berufsperspektive bietet oder von dem man irgendwann bemerkt, dass es den eigenen Interessen oder Begabungen gar nicht entspricht. Sich für den falschen Arbeitgeber oder gar den falschen Beruf zu entscheiden. Bei der Partnerwahl oder der Erziehung der Kinder eine weniger glückliche Hand zu beweisen. Kurz: Das Recht auf Irrtum ist ebenso wenig
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