Das Hipp-Prinzip - wie wir können, was wir wollen
schon über bloße Worte aufregen – statt Menschen aus Fleisch und Blut beim Wort zu nehmen. Ich verfolge, wenngleich nur gelegentlich, zu bestimmten Themen die Diskussionen in Internetforen oder Blogs. Da kann ich beobachten, wie sich Menschen, die sich nie in die Augen sehen müssen, sehr schnell erregen. Der Ton wird ruppig, auch der Hang zur Rechthaberei ist oft ziemlich ausgeprägt. Es hat sich da in letzter Zeit eine Redewendung eingebürgert, die wie eine Art rhetorisches Ausrufezeichen funktioniert: „Das ist eben meine Meinung!“ Was die Leute damit sagen wollen: Red Du nur, ich werde sie deswegen nicht ändern. Versteht sich, dass diese Auskunft besonders oft jene geben, die zwar wuchtige Thesen, aber eher schwache Argumente zu deren Untermauerung vortragen. Die zwar lautstark Toleranz für sich fordern, mit anderen Meinungen aber weit weniger nachsichtig sind.
Das ist der Punkt, an dem auf das uneingeschränkte Ja zur Meinungsfreiheit ein erstes Aber folgen muss. Meinungsfreiheit ist nämlich keine Einbahnstraße. Je kontroverser eine Meinung, je abseitiger eine Idee, je haltloser eine Kritik ist, umso mehr sollte sich derjenige, der sie vorbringt, auf Gegenwind einstellen. Zwar bevorzuge ich persönlich einen ruhigen Umgangston. Ich habe auch keine große Vorliebe für verbalen Radikalismus und extreme Ansichten. Aber wer Kraftausdrücke oder Außenseiterpositionen bevorzugt, der muss es ertragen, wenn andere auf seine groben Klötze grobe Keile setzen. Erst recht gilt das für jene, die dummes Zeug in harten Worten formulieren. Tatsächlich sind es ja oft die Meinungs-Rambos, die sofort zur Mimose mutieren, wenn ihnen deutlich Kontra gegeben wird.
Schließlich verwechseln viele Menschen ihr Recht auf eine eigene Meinung dann auch noch mit etwas ganz anderem: dass ihnen gefälligst Recht geben werden sollte. Doch genau darauf hat niemand einen Anspruch. Recht bekommt in allen irdischen Fragen bestenfalls der, der aufgrund überzeugender Argumente andere für seine Meinung oder seine Idee gewinnt. Und selbst dieser Erfolg wird einem höchst selten in Reinform zuteil. Häufigsetzt sich am Ende nämlich etwas durch, das ganz zu Unrecht den schlechten Ruf genießt „faul“ zu sein: der Kompromiss. Gute Kompromisse nehmen die wichtigsten Einwände und Verbesserungsvorschläge anderer Menschen auf – die ja meist auch nicht auf den Kopf gefallen sind.
Wo es um Meinungen, Ideen, Gedanken, Erfindungen oder auch ganz praktische Vorschläge geht, da fällt die Entscheidung bei Lichte besehen überhaupt nie zwischen wahr und falsch, sondern nur zwischen besser und weniger gut. Wo wir hingegen nicht mehr diskutieren und keine Kompromisse mehr machen wollen, da reden wir nicht über wissen und meinen, sondern über glauben. Glaube ist jedoch etwas zutiefst Inneres und Persönliches. Etwas, das uns gewiss stark, aber keinesfalls rechthaberisch machen sollte. Wenn Menschen daher pathetisch verkünden, dies oder jenes sei nun mal ihre Meinung, dann sollten sie das nicht mit dem Gestus der Glaubensgewissheit tun. Denn die ist auf dem Felde des Meinens schlechterdings nicht zu haben. Sie sollten sie den letzten und tiefsten Fragen vorbehalten. In allen anderen Dingen sollten sie bescheiden und belehrbar bleiben.
Die Grenzen der Handlungsfreiheit
Mit der eigenen Meinung, mit einer Idee oder einem Vorschlag allein ist es natürlich nicht getan. Der geistige Plan soll irgendwann Wirklichkeit werden. Wer eine Idee vorbringt, der möchte daher am Ende auch etwas tun . Meistens möchte er auch, dass andere in seinem Sinne (mit-)handeln. Die Gedanken sind ohnehin frei. Wir brauchen jedoch zusätzlich die Freiheit, unsere Ziele zu verwirklichen, unseren Wünschen und Träumen nachzustreben, unsere Visionen in die Tat umzusetzen.
Doch wo der Wille zur Tat werden soll, da ist schnell die Freiheit der anderen berührt. Wenn ich eine Idee für ein neues Gemälde habe, ist das unproblematisch. Ich muss es einfach nur malen. Vielleicht wird es gut, vielleicht auch nicht. Ebenso mages anderen gefallen oder nicht. Aber die Umsetzung meiner schöpferischen Idee greift nicht in die Freiheit anderer ein. Nicht zuletzt deshalb sind die Künste ja so etwas wie das Übungsgelände oder das Labor der Freiheit.
Doch schon wenn ich ein Haus bauen möchte, sieht das anders aus: Es wird neben den Häusern anderer Menschen stehen, denen ich nicht beliebig die Sicht oder den Weg verbauen darf. In einer Reihenhaussiedlung mag schon eine
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