Das Hiroshima-Tor
Coelcanth
) die Komoren besucht hatte, um Latimeria-Untersuchungen durchzuführen.
Timo starrte unverwandt auf das Blatt Papier. Die Verlagerung des Schwerpunktes von den Unendlichkeiten des Universums in
das Innere der Zellen war verwirrend. Was er über die DNS, Genkarten und die sonstige moderne Biologie wusste, stammte aus
Zeitungsartikeln, die ihm zufällig untergekommen waren – oder von Soiles Erläuterungen für Aaro, denen er mit halbem Ohr zugehört
hatte. Das war allerdings effektiv gewesen. Selbst Timo verstand naturwissenschaftliche und technische Dinge, wenn Soile sie
ihm auseinander setzte.
|279| Leider hatte er über den Marburger Latimeria-Kongress im Netz nichts finden können. Hatte Vaucher-Langston darauf hinweisen
wollen, als er bei seinem Tod den Schlüsselanhänger umklammert hielt – dass seine Ermordung mit einem fünfzehn Jahre zuvor
abgehaltenen Kongress zu tun hatte? Mit den Mysterien, über die er sich mit Zeromski ausgetauscht hatte?
Eine Turbulenz erschütterte die Maschine, und Timo legte die Papiere weg.
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Heli Larva schaute durch den Vorhangspalt nach draußen ins Dunkel, obwohl sie nicht glaubte, dass die Polizei ihr wegen Olkiluoto
zu Leibe rücken würde. Dann sah sie sich im Wohnzimmer nach einem Versteck für den dicken Umschlag mit den Banknoten um.
Schließlich machte sie in einem Karton Platz, der die gesamte Geschichte des Widerstands gegen die finnische Atomenergie enthielt:
Finnischer Naturschutzverband, Verein Alternativen zur Kernenergie, Energiekomitee der Bürgerinitiativen, Frauen gegen Atomkraft,
Atomsperre 35, Greenpeace.
Wie sollte sie dem Finanzamt die plötzliche Herkunft der Summe für den Kauf des Hauses erklären? Konnte sie bei einem der
Lotto- oder Wettanbieter im Ausland gewonnen haben, von denen ständig in den Spam-Mails die Rede war?
Unter Mappen und Heftern lagen in dem Karton Briefkuverts voller Fotokopien und Zeitungsausschnitte, die sie für das Schreiben
ihrer Texte verwendet hatte. Damals hatte es noch kein Internet gegeben, Mitstreiter in Deutschland oder England hatten mit
großem Aufwand viele Kopien in Universitätsbibliotheken und Technischen Hochschulen machen müssen.
Jeder Umschlag war mit einem kurzen Kommentar zum Inhalt versehen. Sie nahm ein großes braunes Kuvert, auf dem DIE ANFANGSJAHRE
stand, und zog einen Stoß Papier heraus. Ganz oben lag der Nullpunkt des Atomzeitalters: der 6. August 1945, 8.15 Uhr, Hiroshima. Mit diesem Augenblick hatte der Siegeszug der Atomenergie begonnen. Das Wunder des Atoms war in der praktischen
Anwendung demonstriert worden.
|281| Heli schob das Geld tief in den Umschlag hinein und legte einige Kopien darüber. Ihr Blick fiel auf eine Meldung aus dem Jahr 1954 :
»Am 1. März entglitt die amerikanische Atombombe den Händen der Wissenschaftler, denn niemand hatte mit derart gewaltigen Folgen
gerechnet. Den Angaben zufolge entsprach die Sprengkraft der Bombe zwölf Millionen Tonnen Dynamit, das ist mehr, als während
des gesamten Zweiten Weltkriegs auf Deutschland abgeworfen wurde. Die Bombe hat bereits die Grenzen der Sicherheitsabkommen
überschritten, und nicht nur die japanischen Fischer und zweihundert Inselbewohner im Stillen Ozean sind wegen der Folgen
radioaktiver Strahlung medizinisch versorgt worden. Auch neunundzwanzig amerikanische Wissenschaftler mussten sich in ärztliche
Behandlung begeben. Der ›Manchester Guardian‹ stellt nicht umsonst die Frage: ›Wissen die Wissenschaftler eigentlich selbst
noch, was sie tun und welchen Nutzen eine solche Schreckenswaffe für die Menschheit hat?‹«
Die Meldung auf der nächsten Kopie war drei Wochen später erschienen:
»VERNICHTUNGSEFFEKT VON WASSERSTOFF-BOMBE ANLASS ZUM ENTSETZEN. Die jüngsten Erfolge amerikanischer Wissenschaftler bei der Entwicklung der Wasserstoffbombe haben nun auch in den westlichen
Ländern für Entsetzen gesorgt. Die Wissenschaftler wissen nicht, wie groß das verstrahlte Gebiet sein wird, wenn im April
eine Wasserstoffbombe, die viermal stärker ist als die bislang bekannte, gezündet wird. Die Sprengkraft wird das 2 000fache
der Atombombe von Hiroshima betragen. In London heißt es dazu, die Wissenschaftler bewegten sich nun auf vollkommen unbekanntem
Terrain
. .
.«
Hier lag für Heli der Kern des Problems, das größte Risiko für die gesamte Menschheit: Wissenschaftler auf unbekanntem Terrain.
Ob es sich um Atomkraft oder
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